Zu den ödesten Aufhängern
in Sachen Linux zählt der Vergleich zwischen Linus Torvalds und Bill Gates.
David gegen Goliath klingt immer gut, doch wenn es schon literarische Vorlagen
sein müssen, passen die Liliputaner und Gulliver besser. Ein Mann, der nichts
für seine Körpergröße kann, gegen ein Volk, dessen Stärke in kooperativer
Pfiffigkeit besteht. Small is beautiful.
Auf der einen Seite steht der Industriegigant, der nach den Regeln der
"economy of scale" Konkurrenten aufsaugt, um sich der Marktführerschaft,
inklusive künftiger Entwicklungen, zu versichern. Auf der Gegenseite eine
Truppe, die in diesem Kampf nicht mitmacht und nicht bestehen könnte, dafür
aber die Regeln der Auseinandersetzung umschreibt.
Die Gegenüberstellung von Groß und Klein ist ein praktischer Handgriff
in der Präsentation von Linux, solange man nicht vergisst, dass er nur den
Anfang darstellt. Unbestritten verschafft die weltweite Verbreitung der Microsoft-Betriebssysteme
diesem Unternehmen im Vergleich mit der Alternative Linux ein überdimensionales
Gewicht. Ginge es bloß um (Verkaufs-)Zahlen, wäre die Auseinandersetzung
hier zu Ende.
Aber die Tatsache, dass es vor nicht allzu langer Zeit bedeutend mehr
Telefonanschlüsse im Festnetz als im Mobilfunk gab, war auch ein schlechter
Anhalt für Prognosen. Die Spielregeln können sich unversehens ändern. So
ist es möglich, dass kleinwinzige Gegenspieler zu einem realen Machtfaktor
werden.
Linux stellt eine Reihe bisher ungeprüfter Selbstverständlichkeiten
in Frage. Eine ist das hochgelobte "Firmengeheimnis". Wie Coca-Cola achtet
Microsoft streng darauf, dass die Ingredienzien der verkauften Ware nicht
öffentlich bekannt werden. Sonst könnte jeder die Produktpalette nach Belieben
nachmachen. Das Bedenken ist völlig einsichtig, solange man nicht fragt,
ob das Betriebssystem in der Hand eines Unternehmens die einzige (und gar
die beste) Lösung für das gegebene Problem ist.
Bereits die bloße Existenz von Linux garantiert, dass eine solche Frage
nicht mehr ohnmächtig in der Luft hängt. Sie hat eine klare Antwort. Für
Maschinen, auf denen Windows läuft, ist eine millionenfach bewährte Alternative
verfügbar. Sie beruht auf dem genauen Gegenteil von Geheimniskrämerei und
ist in verschiedener Hinsicht (das hängt natürlich vom Vergleichsmaßstab
ab) der kommerziellen Lösung überlegen.
Aber das antiautoritäre Entwicklungsmodell muss doch zu Unübersichtlichkeit
und letztlich zur Verwirrung führen! Außerdem ist die freie Verfügbarkeit
des gesamten Programmcodes geradezu eine Einladung zu Missbrauch und Systemeinbrüchen.
Unschwer lassen sich Beispiele finden, in denen solche Befürchtungen bestätigt
werden, etwa der "dritte Weg" partizipatorischer Demokratie. Er ist in den
Entwicklungen nach dem Ende des Kalten Krieges beinahe aufgerieben worden.
Umso erstaunlicher ist das Faktum, dass es nicht so sein muss.
Linux ist ein Erfolgserlebnis für die Anhänger sachlich fundierter Selbstbestimmung und Mitverwaltung.
Hunderte Entwickler kooperieren in einer informellen, von den Anforderungen
der jeweiligen Aufgabe bestimmten, Hierarchie, an einem Softwareprojekt,
das keineswegs auseinanderfällt. Sicher, ein Teil des Zusammenhaltes erklärt
sich aus der Opposition der Linux-Community gegen den gemeinsamen "Feind³.
Andererseits ist nicht zu unterschätzen, dass die positiven Resultate der
Kooperation stabilisierend auf sie selbst zurückwirkt.
Geradezu spektakulär fällt die Antwort im Fall befürchteter Sicherheitsprobleme
aus. Es ist ein Irrtum zu meinen, das Internet sei dort am sichersten, wo
die Betriebsgeheimnisse am besten gehütet werden. Das Gegenteil ist der Fall.
Die aktuelle Technik der Verschlüsselung erlaubt, bis ins Detail bekannte
Rechenvorgänge zur Erzeugung praktisch unentzifferbarer Codes zu verwenden.
Gerade die öffentliche Überprüfbarkeit des Verfahrens verbürgt seine kryptologische
Funktionalität. Je weniger über derartige Verfahren preisgegeben wird, desto
höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Insider eine Lücke übersehen. Auch
im rapiden Wechsel der Computertechnologie sollte es feste Orientierungspunkte
geben. Wenig intelligent ist der Versuch, ein Produkt zu wählen und auf das
nächste Update zu vertrauen. Vielleicht beseitigt die neue Version die Vorteile
der alten, oder die Firma geht Pleite.
Warum sollen persönliche Bedürfnisse überhaupt an Produkte geknüpft
werden, die zur Gänze den Fluktuationen des Marktes folgen? Eine Gruppe von
Informatikern und ihre Unerschrockenheit vor großen Herrschaften haben neue
Welten eröffnet. Dort zahlt man nur den tatsächlichen Aufwand, erspart sich
zahlreiche Systemabstürze und lebt vom lebendigen Austausch statt von globaler
Eigenbrötlerei. Klingt wie im Märchen. Jedenfalls hat es Gulliver gehörig
durcheinander gebracht.