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Pluralität

Abschließend ein Praxistest der vorgelegten Überlegungen. Sie enthalten einige Merkmale, die auf den ersten Blick chauvinistisch scheinen. Speziell die Emphase, mit der Behauptungen in einer Bezugsgruppe unhintergehbare Autorität zugesprochen wird, löst vermutlich Befremden aus. Wird hier an einer neuen Verherrlichung des Durchsetzungsvermögens dominanter Diskursformationen gearbeitet? Das Bedenken kann, mit Hilfe eines Beitrags von Hans Schelkshorn, hochaktuell formuliert werden. Schlekshorn weist darauf hin, daß im Parteiprogramm der FPÖ keineswegs mehr der alte Deutsch-NAtionalismus herrscht. Explizit werden Deutsche, Kroaten, Roma, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn als ,,historisch ansässige Volksgruppen`` genannt und akzeptiert.

Das Programm der FPÖ enthält also die Konzeption einer universalen Gleichberechtigung aller Ethnien, eine Konzeption, die man als ,Ethnopluralismus` bezeichnen kann.3

Was ist dagegen einzuwenden? Hans Schelkshorn verweist paradigmatisch auf Raúl Fornet-Betancourt, der den Expansionstendenzen des Neokolonialismus und der Globalisierung genau die Beharrungskraft historisch gewachsener Ethnien entgegensetzt. Prima vista ist der Pluralismus im Parteiprogramm der FPÖ verfassungskonform und kompatibel mit einer Davidsonianischen Bedeutungstheorie. Die Einwände, die Schelkshorn dennoch vorbringt, lassen sich tatsächlich auch auf diese Konstruktion ausweiten.

Fornet-Betancourt idealisiert die indigenen Traditionen nicht. Sein Kulturbegriff bezieht hegemoniale Auseinandersetzungen und das Recht auf kulturellen Ungehorsam ein.

Für die FPÖ ist hingegen Kultur kein Bündel konfligierender Traditionen, die sich stets verändern, sondern eher ein Wesensbestand; Ziel der Politik ist daher der ,Schutz des Bestandes sowie der kulturellen Identitäten der angestammten (autochthonen) Volksgruppen (cap.4, art.2, abs1)` ``.4

Die Ausführungen über die hermeneutischen Befugnisse von Primärgruppen können als Verteidigung derartiger Idealisierungen gelesen werden. Plump ausgedrückt ist das Fremde nach diesem Vorschlag immer schon diskriminiert. Alternativen kommen ,,zu spät``, um in die Erstinterpretation eingreifen zu können. Die Lebendigkeit kontroversieller Auseinandersetzungen, die Schelkshorns ,,Interkulturalität`` vom Ethnopluralismus unterscheidet, ist aus der Tarskiformel und ihren Abwandlungen ausgeschlossen. Etienne Balibar hat die Segregation intern konsistenter Lebensformen als verkappten Rassismus bezeichnet.5

Schelkshorns Unterscheidung leuchtet ein. Aus Davidsonianischer Sicht ist sie durch eine Provokation und eine Selbstverständlichkeit zu ergänzen. Fremdartigkeit ist tatsächlich von Anfang an diskriminiert. Wer daraus einen Skandal macht, ist Opfer einer unpräzisen Analyse. Der Satz sagt nichts anderes, als daß ein Phänomen, welches als ungewöhnlich wahrgenommen wird, eben dadurch aus dem Rahmen der normalerweise wirksamen Verhaltensweisen fällt. Zugegeben, diese Paraphrase ist ein wenig geschwindelt. Die Provokation spielt mit dem Doppelsinn von Diskrimination. Sofern das einfach Unterscheidungsfähigkeit besagt, kann kaum widersprochen werden. Der andere Sinn löst den Protest aus. Diskriminierung heißt gewöhnlich ungerechte Benachteiligung, z.B. auf Grund von Fremdartigkeit. Zwischen den beiden Lesarten gibt es vermutlich einen anthropologischen Zusammenhang, auf den, im Gegenzug, Fremdenfreundlichkeit reagiert. Methodologisch sollte beides aber vom ersten Punkt deutlich getrennt bleiben.

Nun noch die Selbstverständlichkeit, an die zur Abrundung der sprachanalytischen Intervention in hermeneutischen Grundsatzfragen erinnert werden muß. Ebenso unvermeidlich, wie der Vorsprung eines primären interpretatorischen Entwurfes, ist seine Korrigierbarkeit. Nach Davidson besteht kein Zweifel darüber, daß die operationalen Konstrukte der ,,radical interpretation`` der ständigen Überprüfung und kommunikativen Rückkopplung mit den interpretierten Agenten unterliegt. An dieser Stelle greift die Forderung nach Interkulturalität statt Ethnopluralismus. Die Unausweichlichkeit einer ersten - und vieler folgender - Abschätzung des Fremden ist kein Argument gegen die prinzipielle Maxime der Revision von Deutungsansätzen im Licht kooperativer Entwicklungen. Über sie müssen wir nicht reden. - Siehe da, hier stößt der Diskurs liberaler Intellektueller an eine Grenze.

Im Interesse einer angeregten Diskussion ein Schritt weiter in die Praxis. Die Rede von den ,,berechtigten Ängsten der Bevölkerung`` angesichts der Ausländerproblematik offenbart die schwere Krise der ehemals fortschrittlich genannten Politik. Sie statuiert einen Unterschied zwischen elementaren Ängsten an der Basis und dem besseren Wissen einer Bildungselite. Im Aufklärungstrend konnte das als positive Dynamik dargestellt werden, derzeit bläst den als Oberlehrer verächtlich gemachten sogenannten ,,Gutmenschen`` der Wind ins Gesicht. Anstoßerregend ist eine Attitüde, gegen die Davidsons Philosophie resistent macht. Bevor von ,,berechtigten Ängsten`` einer beobachteten Gruppe die Rede sein kann, muß der Sinn festliegen, in dem die Beobachterinnen und Beobachter berechtigte Ängste verstehen. Progressive Politiker positionieren sich gerne an einer Stelle, von der aus sie auf die Ängste der Bevölkerungsmehrheit herabsehen. Sie ,,berechtigt`` zu nennen ist entweder das Eingeständnis des Populismus, oder Schönrednerei.

Eine Interpretin (m/w) beobachtet Verhaltensweisen, die sie als berechtigte Angst versteht. Zur Erläuterung muß sie sagen können, wovor sie sich selbst mit Berechtigung fürchtet. Eine solche Angst betrifft zum Beispiel den Zustand, in dem sich die Freiheit diskordanter Lebensführungen nicht mehr behaupten kann. Hier verläuft eine Front; der Seitenblick auf die Ängste anderer ist ein Ablenkungsmanöver. Glaubhaft sind Ratschläge von Personen, die sich selber glauben. Die Stärke der Toleranzidee liegt in der Angst, die sie zu überwinden hilft und in der gedanklichen Produktivität, zu der sie befähigt. Weniger darin, daß sie ein probates Mittel darstellt, Dogmatiker schlecht aussehen zu lassen.


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h.h.
2000-12-29