Radioaktive Frischluft

Herbert Hrachovec


Sie kaufen ein Funkmikrofon, z.B. um den Vortragenden in ihrer Organisation die Möglichkeit zu geben, sich frei im Auditorium zu bewegen. Zusammen mit dem Gerät erhalten Sie einige Formulare. Ein gewisser Herr Mulavka beim ORF muß davon verständigt werden, daß Sie beabsichtigen, 8 Sonderfrequenzen zu verwenden (stationär oder mobil). Mit seiner Erlaubnis reichen Sie das Ansuchen zum Besitz (!) einer drahtlosen Mikrofonanlage an das für Sie zuständige Fernmeldebüro ein. Nach einigen Tagen erhalten Sie eine Rechnung und nach der Einzahlung, so steht zu hoffen, die Betriebsgenehmigung.

Das ist der Amtsweg. Um im Schulungszentrum Ihrer Firma ein bestimmtes Mikrofon einsetzen zu dürfen, benötigen Sie zwei Genehmigungen von ganz oben. Angenommen, die Präsentation wird mit einer Kamera erfaßt und per webcast live nach Australien gespielt -- so etwas ist ohne Antrag zulässig. Dieses Mißverhältnis wirft ein grelles Licht auf den Unterschied, der sich zwischen Sitten und Gebräuchen im Äther und in digitalen Kommunikationsnetzen herausgebildet hat.

Rundfunk- und TV-Sender erzeugen mit Hilfe elektrischer Schwingkreise Wellen (unterschiedlicher Länge), die Information transportieren und über Antennen -- wie es so schön heißt -- ausgestrahlt werden. Der gewöhnliche Radiowellenbereich reicht von 30 cm bis zu einigen Kilometern. An dieses Intervall muß sich der Funkverkehr weltweit halten. Je nach Wellenlänge eignet sich dieser Ausschnitt des elektromagnetischen Spektrums verschieden gut zur Übertragung; die verfügbaren Segmente sind jedenfalls beschränkt. So kam es, daß nach einer ersten Phase des freien Experimentierens weltweit staatliche Instanzen die Regelung der Frequenzvergabe an sich zogen. Wenn ein See im Salzkammergut nicht durch Finanzmagnaten privatisiert werden soll, müssen gesetzliche Interventionen dagegenstehen. Eben diese Logik gilt auch in der Luft, um auszuschließen, daß Flugzeuge kollidieren oder Fernsehprogramme einander gegenseitig stören.

Die Existenz staatlicher Aufsichtsorgane über den Luftraum und die Frequenzbänder des sogenannten "Spektrums" ist so gesehen erklärlich. Doch derartige Instanzen haben zumindest zwei Schwachstellen. Erstens unterliegen sie, als politische Einrichtungen, dem Machtkampf zwischen demokratischer Kontrolle und den Verwertungsabsichten mächtiger ökonomischer Akteure. Daß sich in die Erlaubnis zum Betreiben eines Funkmikrofons der ORF einschaltet, spricht Bände. Und zweitens tendieren derartige Behörden zur Administration des status quo. Es war einmal, da konnte man sich unter "Funkübertragung" bloß Radio- und Fernsehsender vorstellen. Aus dieser Zeit stammen die Gesetze. Die Innovationen, die in der Zwischenzeit entwickelt worden sind, werden in die alte Einteilung gesteckt.

Das ist vielleicht bedauerlich, aber wie soll es ohne Kontrollinstanz gehen? Wenn jeder sich an einer begrenzten Ressource bedient, droht Chaos und Überlastung. Dieses Argument ist ein Hammer, d.h. ein schlagkräftiges Instrument für bestimmte Zwecke. Allerdings passen Hämmer nicht überall und, wie sich gegenwärtig zeigt, nicht im Bereich der Radiowellen. Die ganze techno-politische Konstruktion, die diesen öffentlichen Raum bestimmt, basiert auf der Voraussetzung, daß sich in ihm nur eine beschränkte, zentral verwaltbare Anzahl von Sendestationen unterbringen läßt. Eine solche Annahme entspricht dem Stand der Technik nicht mehr. Der Äther gehorcht anderen Gesetzen, als das Seeufer.

Ein Bild zur Vorbereitung der neuen Sichtweise. Stellen Sie sich eine Gesellschaft vor, in der bloß Eisenbahnverkehr bekannt ist. Wer von Graz nach Zell/See gelangen will, ist auf den Fahrplan angewiesen. Das ist auch gut so, denn die Alternative ist ein Zugsunglück. Dann wird die erste Autobahn gebaut und -- nehmen wir an -- von Bussen befahren, welche die Eisenbahngesellschaft betreibt. Sie sträubt sich gegen die Zulassung von PKWs. Ihr Argument: das kann nur zu Verkehrsunfällen führen. Es wird nicht lange dauern, bis der Fehler in dieser Prognose offensichtlich ist. Trotz ihres Namens ist die "Autobahn" keine Bahnstrecke. Die Analogie ist falsch und wird -- in unserem Bild -- gezielt zur Verhinderung des Individualverkehrs eingesetzt. PKWs auf Straßen bewegen sich nicht wie Züge auf Schienen und müssen nicht aus Sicherheitsgründen einem Fahrplan unterworfen werden. Die Rolle der Zentraladministration reduziert sich drastisch.

Das Analogon zur Zugsgarnitur, die einen Schienenstrang benötigt, ist die Besetzung eines Segmentes im Spektrum durch Ausstrahlungen mit hoher Energie. Radioapparate sind so gebaut, daß sie auf vorgesehenen Wellenlängen starke Signale empfangen. Ein zweiter Impuls in diesem Bereich ist für sie eine Störung. Aber das muß nicht sein; es ist, genauer betrachtet, eine Vergeudung von Ressourcen. Das Militär hat (wieder einmal) frühzeitig mit Alternativen experimentiert. Funkempfänger, die präzise darauf eingestellt sind, ein vergleichsweise schwaches Signal aufzunehmen, sind nicht auf den Sender angewiesen, der am lautesten schreit. Nimmt man noch digitale Verfahren hinzu, so ergibt sich: durch passende Modulierung lassen sich im Spektrum praktisch unbegrenzt viele Sendeabläufe unterbringen. Voraussetzung dafür sind moderne Kodierungsmethoden und eine neue Generation "intelligenter" Radios.

Wer kontrolliert das? Schließlich wird auch die Autobahn überwacht. Das stimmt schon, aber die Aufsicht dient der allgemeinen Sicherheit und bestimmt nicht, wer wohin fahren kann. Die definierten Frequenzschienen werden an Bedeutung verlieren. Alarmanlagen, Autoschlüssel, Kopfhörer, Schnurlos- und Mobiltelefone füllen die Atmosphäre mit Schwingungen. Das Fernsehen bekommt Konkurrenz. Umso dringlicher wird -- nochmals gesagt -- die Frage, wie die Verwirrung zwischen allen diesen Impulsen in der Luft zu vermeiden ist. Das Stichwort ist Digitaltechnik und dabei löst sich die Unterscheidung, mit der wir begonnen haben, langsam auf. Radio und Telefon wurden lange vor der digitalen Datenkommunikation (speziell des Internets) entwickelt. Gegenwärtig verwischen sich die Grenzen.

Die Lösung des Kontrollproblems war geradezu die Geburtsstunde des Internets. An die Stelle des Informationstransfers über fix geschaltete Verbindungen trat die Vermittlung von Datenpaketen durch sogenannte "routers", Rechner als Zwischenstationen der Transmission im Netz.Diese Übertragungsvorgänge brauchen keine zentrale Kontrolle; sie werden durch Algorithmen geregelt, mit deren Hilfe sich die beteiligten Prozesse (zumindest theoretisch) optimieren lassen. Diese Operationalität, unter Absehung von Staatsgrenzen und Gesetzesvorgaben, hat sich in kurzer Zeit durchgesetzt. Dieselben allgemeinen Prinzipien stehen jetzt auch für den konventionellen Sendebetrieb zur Verfügung. Darum verschiebt sich der Konflikt. Er besteht nicht mehr zwischen dem Überangebot von Sendern, sondern zwischen den zusehendes antiquierten Vorschriften und dem Potenzial der Übertragungsprotokolle.

Die mögliche Übertragungsrate via Funkverbindung hat jene Geschwindigkeit erreicht, mit der auch Ethernet-Netzwerke im Local Area Network operieren. Sie ist damit deutlich schneller als Modeme und bietet sich zum Einsatz in unverkabelten Gebieten an. Ein Paradebeispiel ist das Königreich Tonga, eine Inselgruppe im südlichen Pazifik. Dort realisierte Dewayne Hendricks, einer der Pioniere der neuen "spread spectrum"-Technologie, ein Kommunikationssystem, das US-amerikanische Verhältnisse in ländlichen Gebieten deutlich übertrifft. Der Grund: er mußte sich nicht mit einer Bundesbehörde und deren ausgefeiltem Regelwerk herumschlagen und stand unter dem Schutz des innovationsfreudigen Kronprinzen.

Ein weiteres Anwendungsgebiet sind wissenschaftliche Erforschungen ökologischer Prozesse: Klimawechsel, Erdbeben, Umweltverschmutzung. Bisher arbeitete man mit Meßstationen und mußte die gespeicherten Daten umständlich sammeln und in einem nächsten Schritt manuell weiterleiten. Mittlerweile werden Kameras produziert, in die ein kleiner Webserver, inklusive IP-Adresse, integriert ist. An diese Vorrichtung läßt sich ein Miniatursender applizieren, der über Funk eine Internetverbindung zwischen dem Labor und dem unbemannten Außenposten im Dschungel, in der Wüste, oder auf einer Boje im Atlantik herstellt. Solche Arrangements verdienen wirklich den Namen Rundfunk.

Die Luft ist voller Schwingungen, die wir sorgfältig vermessen und aufgeteilt haben. Dazu bedurfte es einer sozialen Ordnung, genauer gesagt der Staatenwelt des 20. Jahrhunderts. Nun ist zu beobachten, daß diese Welt gleichzeitig mit den Ordnungsformen erschüttert wird, die sie ins Firmament projezierte. Die Irritationen steigen und umgekehrt verstärkt sich die Möglichkeit, vorpaketierte Fertigkost mit einem Minimum an Inhalt über den Erdball zu verbreiten. Eine bedenkliche Schere zwischen Individualstandpunkten und Massenmedien öffnet sich. Weder auf technischer, noch auf inhaltlicher Ebene wird staatliches Reglement in Zukunft die Gegensätze produktiv vermitteln können.

Die Anzeige alter Radioapparate ist eine Art Landkarte. Um das Gerät zu bedienen, wählte man zwischen Ortsnamen am Frequenzband. Die Abbildung der geographischen Verhältnisse auf das elektromagnetische Spektrum ist heute überflüssige Dekoration. Eine Sicherheit weniger, eine Gelegenheit mehr, den Äther neu zu sehen.