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Mitunter schlägt der blanke Haß durch. In einem Absatz attackiert Kurt Dieman-Dichtl u.a. "Altmarxisten und Neobolschewiken", "beamtete Berufsantifaschisten", "selbsternannte Künstler und linke Konsistorallaien (sic!)", "sitzengebliebene Taferlklassler der Frankfurter Schule", "Weihwasserchaoten und Linkskatholiken" (S. 279). Was haben sie gemeinsam? Wer dirigiert sie?
Die Antwort kann nur lauten: Das Europäische Haus und die Mächte, die hinter ihm stehen. ... Die 'Internationale' der 'Vaterlandslosen', deren 'Credo' im Antreiben einer europaweiten ('europareifen'!) Völkerwanderung besteht, die kein Land und keine Kultur heil und unbeschädigt überstehen kann ... (a.a.O.)Besonders angefeindet werden die Proponenten von SOS-Mitmensch:
Mit Hilfe von Politik und Teilen des Klerus gründeten sie zur Bekämpfung des Volksbegehrens 'Österreich zuerst' ihre 'Plattform SOS Mitmensch', um die Leute zu einem 'Lichtermeer' auf die Straße zu treiben. Unter dem propagandistischen Trommelfeuer der volksdemokratisch gleichgeschalteten Medien ist ihnen das auch gelungen. (Walter Marinovic, S.315)Der Erfolg der Demonstration ist offenbar schwer zu verkraften. Die Prinzipientreue der Fürsprecher des "Aufbaus einer neuen geistigen Grundhaltung, die sich an den Naturgesetzen, den christlich-abendländischen Wertvorstellungen, der Philosophie der Antike bzw. des Deutschen Idealismus orientiert" (Kriemhild Trattnig, S.275), schlägt in Beschimpfung um. Geklagt wird, daß die Gleichschaltung ihre Erfinder überlebt hat und heute die "Sammlung aller positiven, werterhaltenden- und stiftenden, dem Staat und Gesamtvolk verantwortlichen Kräfte" (Trattnig, S.273) trifft.
Die Namen der Bösen, die den "Kampf derer, die dem Guten dienen wollen" (Trattnig, S.275) anstacheln, lassen sich leicht erraten. Überraschend ist dagegen, daß Thomas Bernhard, Alfred Hrdlicka und Claus Peymann auch verteidigt werden. Sigurd Paul Scheichl, Germanist in Innsbruck, plädiert dafür, Experimente in Malerei, Musik und Literatur nicht bloß zuzulassen, sondern auch zu fördern. "Thomas Bernhards Geschichtenzerstören hilft uns zu mehr Verständnis unserer Welt als eine gut erzählte Geschichte." (Scheichl, S.330) und "Alfred Hrdlicka bleibt ein eindrucksvoller Bildhauer, ganz unabhängig von seinen politischen Ansichten." (Scheichl, S.333) Scheichl ist "der Ansicht, daß sich trotz einigen Fehlleistungen insgesamt die österreichische Kunstförderung auf dem richtigen Weg befindet. Übrigens auch in der Causa Peymann ..." (Scheichl, S.335). Nach Walter Marinovic ist der Burgtheaterdirektor unter Billigung der SP-Regierung mit der Zerstörung seines Hauses beschäftigt, andererseits: "... Peymanns sogenannte verbale Entgleisungen sollte man als das zur Kenntnis nehmen, was sie sind: witzige Überspitzungen, und daß Peymann sich als Linker versteht, hat mit seiner Leistung als Theatermacher gar nichts zu tun." (a.a.O.) Scheichl argumentiert, daß Kunst geistige Auseinandersetzung auslösen und dazu den Konflikt mit tiefsitzenden Erwartungsmustern riskieren muß.
Einer politischen Erneuerung scheint mir also letztlich weniger die österreichische Kunstförderung -- die keine sozialistische, sondern im Sinne des Programms der Freiheitlichen Partei eine liberale Kunstförderung ist -- zu bedürfen, als die Bewertung der neuen Kunst durch die österreichischen Freiheitlichen. (Scheichl, S.335f)An die Stelle militärischer Metaphern tritt hier die Anstrengung, das Geschehen im Kulturbereich als einen zukunftsorientierten Lernprozeß zu fassen. Es kommt noch eindrucksvoller.
Den Beiträgen des Jahrbuches gehen Porträtphotos und die Kurzbiographie der Autorinnen und Autoren voran. Jene von Bertl Petrei beginnt so:
geb. am 17. November 1919 in Bleiburg/Kärnten; von Geburt an durch Vorgeburtsunfall körperbehindert (Fehlen des linken Unterarms); Humanistisches Gymnasium in Wien; Tätigkeit als Luftschutzlehrer, beim 'Kärntner Grenzruf' und in der HJ-Gebietspressestelle in Klagenfurt; 1944/45 Dolmetscher beim 'Stellungsbau Süd'; 1945-47 Anhaltelager; anschließend Studium an der Universität Wien (Zeitungswissenschaft, Germanistik, Volkskunde) ... (Petrei, S. 361)Das ist der Stoff, aus dem sich rechts von der Mitte Persönlichkeiten bilden können. Den eigenen Lebenslauf so zu formulieren heißt, aus ihm gelernt zu haben. Entsprechend unbefangen ist der Titel Brauchtum und Volkskultur. Gefährdete kulturelle Werte? Was für die Abbrüche der Biographie gilt, läßt sich verallgemeinern. Auch soziale Gruppen bewahren ihre Kontinuität, indem sie Umorganisationen, je Zerstörung in Kauf nehmen. "Volksbrauch ist etwas unerhört Lebendiges, gewiß Schwindendes und sich Wandelndes, aber immer in Anpassung an neue Funktionen sich Erneuerndes." (Petrei, S.373) Vor kurzem hatte ich eine polemische Auseinandersetzung mit einem Sozialanthropologen aus Oxford. Er betrachtete den "Musikantenstadl" als legitime Weiterentwicklung der Volksmusik und warf mir Rigorismus vor. Bertl Petrei würde auf seiner Seite stehen. "Hier sind auch, sozusagen als Wiedergutmachung für alles, was sie auf diesem Gebiet zerstört haben, die elektronischen Massenmedien eingesprungen. Im Radio wie im Fernsehen gehören Volksmusiksendungen zu den beliebtesten." (a.a.O.) Petrei wird mich nicht davon abbringen, daß hier ein glatter Ausverkauf stattfindet. Doch seine gebrochene Zuversicht ist respektierbar.
Zwei sehr verschiedene Tonarten, zwei diametral entgegengesetzte Problemauffassungen. Was tun sie miteinander? Der eine kippt Mist vor's Burgtheater, der andere rühmt die Befreiung aus erstarrten Theaterkonventionen. Verständigung in der Sache ist praktisch unvorstellbar. Die multi-kulturelle Szene, in der sich solche Widersprüche massenweise finden, hat ein probates Mittel, mit ihnen umzugehen: einfach alles nebeneinander laufen lassen. Ausführlich (und nicht zu Unrecht) wird das von konservativer Seite als Relativismus gerügt. Das vorliegende Jahrbuch wirft ein Problem für diese Position auf. Um sich mit liberalen Zügen sehen zu lassen, tut das freiheitliche Bildungswerk genau das, was mehrere Wortführer verdammen, es verzichtet auf den "Kampf der Guten". Auf der Umschlagseite ist zu lesen: "Die größtenteils kontroversen und aus verschiedenen weltanschaulichen Richtungen stammenden Beiträge sollen ... Material bieten, das den Diskurs zwischen Parteigrenzen und ideologischen Fronten ermöglicht." Dieses Material enthält u.a. eine "Erklärung des Bundesparteiobmanns anläßlich des Staatsfeiertages", in dem André Heller, Kurt Jürgens (?), Elfriede Jelinek und Jazz Gitti "Wehrdienstverweigerer" Steuerflüchtige und Österreichbeschimpfer" (S.176) genannt werden. Schwierig, unter diesen Vorzeichen ein Gespräch zu führen.
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