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Konstellation

Als Konsequenz aus den Spitzfindigkeiten an der Grenze dialektischen Denkens bieten sich zwei Alternativen an: innerhalb des Rahmens bleiben oder sich nicht von ihm vereinnahmen lassen. Ob es ein solidarischer oder subversiver Zug ist, sei dahingestellt, jedenfalls findet sich bei Adorno noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die Kombination der Alternativen: in negativer Dialektik unbeeindruckt vom Systemzwang denken. Adornos Termini dafür sind ,,Modell`` und ,,Konstellation``. ,,Philosophisch denken ist soviel wie in Modellen denken; negative Dialektik ein Ensembel von Modellanalysen.``35 In Konstellationen versammeln sich Begriffe, die direkt ihr Ziel verfehlen, von außen um die Sache (vgl. Negative Dialektik S. 162ff).36 Diese methodische Vorkehrung ist gleichsam eine Dispens, die sich der Meister des dialektischen Zusammenhangs selbst erteilt. Sie gestattet eine Bewegungsfreiheit, ohne die moderne Gesellschaftsformationen unmöglich zu analysieren wären. Natürlich erzeugt das eine schiefe Optik. Denken mit Hilfe von Modellen gehört zum Methodenapparat des ausführlich gescholtenen ,,Positivismus``. Kein Argument klärt darüber auf, inwiefern dieser Inbegriff heuristischer Vorläufigkeit im Ensembel einen dialektischen Zusammenhang ausmachen kann. Die Vermittlung zwischen Konstellationen und System bleibt verbal. Sie dreht sich um das suggestive Wort ,,Mikrologie``.

Der Zuammenhang ist in der ,,Negativen Dialektik`` abschließend angedeutet und nicht belastbar. Metaphysik wird durch Entmythologisierung immer weiter zurückgedrängt und schützt sich ,,vor der Totale``, indem sie ,,in die Mikrologie einwandert.`` ,Danach wäre sie möglich allein als lesbare Konstellation von Seiendem.``37 So sieht das Denken aus, dem Adornos Solidarität in dessen Absturz gilt. Der Philosph imaginiert sich eine Gegenposition, an die er seine Hoffnung heftet, die er im selben Atemzug auch von sich weisen kann. Genug der Rafinesse. Der Abschluß dieser Diskussion stützt sich auf zwei Ergebnisse der bisherigen Argumentation. Erstens gilt die Dispens, die sich Adorno gestattet, auch für seine Leser und zweitens ergeben sich Schwierigkeiten damit, das Modelldenken mit der emphatisch zugespitzten, direktiven, ultimativen Theorie zu vereinbaren, als welche die ,,Negative Dialektik`` glänzt. Der Gestus Adornos suggeriert, daß sich die kleinen Dinge als Unterpfand der Versöhnung im Großen erweisen. Es ist nicht einzusehen, wie sie dem Druck widerstehen könnten, den die jederzeit griffbereite Rede vom universalen Verblendungszusammenhang erzeugt. Aber vielleicht läßt sich der Gedanke umkehren. Der Mikrologie wird unter solchen Umständen unweigerlich die Eschatologie aufgeprägt. Die weltgeschichtliche Perspektive ist im Vergleich zu den einzelnen Instanzen, in denen sie greifbar wird, platt. Die Detailanalyse vermag den Entscheidungszwang nicht zu lösen, unter den die kritische Theorie den Weltlauf stellt. Aber sie kann ihne plausibel machen. Sie kann der Fertigkeit, mit welcher dialektische Argumentationen sich bewegen, eine fertige Konstellation entgegenstellen. Solche Momente zeigen die Obsession mit ,,dem richtigen Leben`` en miniature. Sie enthalten Dogmatismus, ohne den es keinen Wahrheitsanspruch gibt und reizen ihn soweit aus, wie die Umstände es gestatten. Das ist ihre Grenze, daraus gewinnen sie ihre Überzeugungskraft, mehr können sie nicht bewirken. Offenbar verlangt dieses Konzept ein Beispiel. Es stammt aus den letzten Tagen der DDR und bietet eine methodologische Variante zur Dialektik auf dem Weg zurück nach vorne.

Der Rostocker Chor unter der Leitung von Christoph Schroth hat einen Liederabend einstudiert: ,,Die Freie Deutsche Jugend stürmt Berlin``.38 Vorgetragen werden bekannte Gesänge des internationalen Proletariats, speziell Lieder aus der sozialistischen Jugendarbeit der 50-er Jahre. Im Rahmen der westdeutscher Kulturerfahrung könnte ein solches Unternehmen rückständig, ironisch oder revisionistisch sein. Doch dem ostdeutschen Chor gelingt es, sich diesen Thesen und Antithesen zu entziehen. Er präsentiert offenkundige Klischees wie ,,Das neue Leben muß anders werden - Als dieses Leben, als diese Zeit`` in leiser Bestimmtheit, traurig und überzeugt. Die Singweise stellt sich gegen den Triumphalismus der Staatsrituale ebenso wie gegen die hämische Ausbeutung des einfachen Gedankens, es dürfe kein Elend mehr geben. Sie ist von den herrschenden Ideologen nicht zu belangen, weil sie deren inhaltlichem Diktat nicht widerspricht; gleichzeitig ist offenbar, daß sie es unterwandert, indem sie ihm die Attitüde raubt. Die Unterwanderung geht aber auch nicht in die Richtung, die aus der westlichen Unterhaltungsbranche bekannt ist. Sie bleibt solidarisch mit dem Wunsch, dem auch der real existierende Sozialismus seine Existenz verdankt.

So ließe sich verständlich machen, wie Mikrologie den ambitionierteren, auf Welt- und Heilsgeschichte ausgerichteten Redeweisen Impulse vorgeben kann. Gegen die Tendenz theoretischer Entwürfe, in einzelnen Beispielen Bestätigung zu suchen, wäre sie ein ,,bottom-up``-Verfahren. Das Alltägliche eignet sich in der Regel nicht dazu, dem Leben systematisch überprüfbaren Halt zu verleihen. Das ist das Argument für distanzierte, nicht an den jeweiligen Umständen klebende Betrachtungen. Und in der Tat bedarf es prinzipieller Überlegungen, um den Ablauf des gewohnten Lebens nicht der Willkür jeweils herrschender Ordnungen auszuliefern. Dennoch sind auch in der Alltagserfahrung Festpunkte herstellbar, die alle Anforderungen an methodische Prägnanz erfüllen. Ein Lied läßt sich so singen, daß die gesellschaftliche Wirklichkeit, die es umgibt, auf ja und nein festgelegt wird. Regeln können in einer Weise ausgelegt werden, die bestehende Praktiken definitiv auf die Probe stellen. So entsteht in diversen Handlungsspielräumen ein ,,eschatologischer`` Moment: Gelegenheit zur Entscheidung über den Sinn der (sozialen) Existenz. Daß ein entsprechendes Verhalten unter den Bedingungen des Spätkapitalismus nicht von Philosophen vorgedacht werden kann, hat Adorno eindringlich argumentiert. Denkbar ist dennoch, daß deren Kategorien und der Erfindungsreichtum des Alltags einander in der Sache treffen..


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h.h.
2000-07-09