Herbert Hrachovec: Menschenrecht Heimat Die Schwierigkeit ist schon vom Titel abzulesen. Heimat ist ein Teil der Welt ohne Menschenrechtserklärungen. In ihr können sich Menschen aufhalten, ohne auf Menschlichkeit pochen zu müssen. Gesetz bricht die heimatliche Unbefangenheit, deren Nutznießer wie von selber wissen, wo sie hingehören. ,,Menschenrecht Heimat “ sagt: Wir klagen einen Zustand ein, in dem wir die Justiz nicht brauchen. Hilflosigkeit und Zynismus liegen in dieser causa nahe beieinander. Natürlich schreit das Kleinkind, wenn seine heile Welt durchbrochen wird. Umgeben von der elterlichen Zuwendung hatte es keinen Anlaß, sich auf die Widrigkeiten der Umgebung einzustellen. Die “berechtigten Sorgen der Bevölkerung“ , von denen jetzt soviel die Rede ist, stammen aus einem ähnlich ernüchternden Schock, darum reagieren die Politiker auch prompt wie Kindermädchen. Nur der Frechdachs durchkreuzt lustvoll die pädagogischen Anstrengungen und ruft die Bevölkerung auf, sich nicht wegnehmen zu lassen, was sie nicht verdient hat. So sagt er es natürlich nicht, aber das ist die Pointe der Verknüpfung von Rechtsdenken und Urtümlichkeit. In ihr steckt eine Wahrheit. Um sie ans Licht zu bringen, ist der Vergleich zwischen den Bedürfnissen des Säuglings und dem „angestammten Recht einer nationalen Gruppe“ auseinander zu falten. In den ersten Phasen ihres Lebens bedürfen Menschen ständiger Obhut, sonst sind sie dauerhaft geschädigt. Dieser sozio-biologische Sachverhalt wird allerorten mit moralisch-rechtlichen Leitsätzen umgeben und verstärkt. Hier ist auch Pädagogik unvermeidlich. Die Einsicht ins Realitätsprinzip braucht Zeit. So hoffen Bundespräsident, Bundes- und Vizekanzler die Bevölkerung auch auf die drohenden Erschütterungen aus dem Osten vorzubereiten. Ein Kind hat seine Eltern, ein Volk seine Heimat. Etwas stimmt nicht an der Parallele. Die Heimat, die Erwachsene gegen Einbrüche von außen verteidigen, ist immer auch ein Sammelplatz verklärter Enttäuschungen. Der lebensnotwendige Schutzraum, mit dem die Existenz beginnt, wird leicht zu einem Reservat, das Schutztruppen verteidigen. Die Gründe liegen darin, daß erstens ein Stück Kindheit Teil des Erwachsenenlebens bleibt und sich zweitens mächtig aufbläht, wenn die Zukunft sich verdunkelt. Familien, Vereine und Nationen verfügen über Gründungsmythen, aus denen sie die Kraft beziehen, sich unter schwierigen Umständen zu erhalten. Darauf besteht kein Rechtsanspruch. Aber es ist ein raffinierter Schachzug, ihnen einzureden, ihr Plätzchen in der Welt sei nur für sie geschaffen. Das heißt: Sie können darauf bestehen, nicht zu fragen, was ihnen Recht auf Leben gibt. Über das Begehren der Körper und sogar der Texte ist in der progressiven Psychoanalyse viel geschrieben worden. Pikanterweise ist das Volksbegehren (zur Ausländerproblematik) auch so ein Akt der Emanzipation von intellektuellen Skrupeln. Es ist richtig, daß man an das Intimste nicht durch öffentliche Diskussion herankommt. Und es ist falsch, daraus zu schließen, daß es für sich selber sprechen kann. Seine Verletzung hat schon immer stattgefunden, darum ist die Rede von der Heimat unweigerlich beschwörend und beschwichtigend, das Gegenteil des juristischen Diskurses. Dieser beginnt mit der Erkenntnis “ Shit happens, jene mit einer Konstruktion davon, wie das zu verhindern gewesen wäre. ‚ Menschenrecht Heimat“ enthält einen Widerspruch. Ihn auszuklammern ist ein Traum, den Traum unanalysiert zu propagieren eine Straftat. Und nun zum Caritasdirektor. Er hat dem Frechdachs nach einem Gespräch in einigen Punkten rechtgegeben. Ich halte das für mutig und erfreulich unklug, Gott sei dank nicht staatstragend. Dr. Schüller traut sich was und das ist eine Qualität, welche die rechte Opposition monopolisiert zu haben schien. Seine Intervention ist ein Versuch, die Politik der Heimat in ihre beiden harmlosen, Bestandteile zu zerlegen: mit allen Mitteln – Menschen helfen. Die explosive Mischung entsteht erst, wenn jemand alle Mittel recht sind, sich selbst zu helfen. Warum soll man die Phrasen eines Politikers nicht beim Wort nehmen? Nicht zufällig stört gerade ein Kleriker die eingefahrenen Reflexe. Die religiöse Antwort auf das Problem ‚Menschenrecht Heimat“ ist ein Zufluchtsort in Gott; Barmherzigkeit ist die Parole. Immerhin eine Möglichkeit, das intrigante Aufstacheln von Existenzangst und Ressentiment zu unterlaufen, mit dem die neue Rechte den zur Normalität geronnenen Interessenausgleich der sozialen Marktwirtschaft erschüttert. Glaube, der die Erde liebt. Schwieriger ist es für die modernen Individuen, die an Stelle der Nächstenliebe den Rechtsstaat erfunden haben. Sie unterliegen einem raffinierten Dreh‘. Die Utopie, der sie abgeschwuren, tritt ihnen als aggressive Selbstbehauptung in den Weg. Die Heimat, die sie verlassen haben, rächt sich, indem sie die Zurückgebliebenen mobilisiert. Es schien einmal, daß die Menschenrechtskonvention auf alle Fälle in die Zukunft weist. Jetzt zeigt sich, daß die schauerlichsten Tölpel auf ihrer Gleichberechtigung bestehen. Die Konsequenzen? Soviel wie möglich über das Recht auf menschenwürdige Verhältnisse reden, obwohl es ein Unding ist. Die Konstruktion braucht einen starken Glauben oder hohes rhetorisches Talent. Alles sollte geschehen, um dieTriebkonstellation, die sich hinter der Formulierung verbirgt, an die Oberfläche zu bringen. Insofern ist die Beschwerde, die Ewiggestrigen wären im Vormarsch, fehl am Platz. Jeder Mensch mit Gedächtnis ist auch ewig gestrig. Offen bleibt, was er sonst noch sein kann. Die Kreisleiter operieren damit, daß die Zukunft die gute alte Zeit wieder etabliert; die Koalition der Vernunft müßte plausibel machen, wie beschränkt das ist. Die Heimat zuzubetonieren erzeugt keinen Skandal, solange es sich um Hotels handelt. Da reicht das Schild „Alles besetzt‘. Wie auf der Toilette.