Herbert Hrachovec: Anschauungsunterricht An ,,Taxi Orange„ wird häufig kritisiert, daß eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt wie der ORF auf derart niedrigem Niveau mit kommerziellen Anbietern in Konkurrenz tritt. Der Vorwurf ist gedankenlos und snobistisch. ,,Taxi Orange„ sollte im Gegenteil zur Ergänzung der politischen Bildung verpflichtend in allen Schulen dieses Landes vorgeschrieben werden. Aus folgenden Gründen. Die Sendung bietet einen großartigen Einblick in die Mechanismen der Meinungsbildung in Konsumdemokratien. Klassische Interessensvertretung durch Parteien, Kirchen und Verbände greift zunehmend zu kurz. Das Fernsehen versammelt eine Gruppe von Personen, deren Popularität die Zuseherinnen und Zuseher bestimmen können. In Ermangelung eines stabilen gesellschaftlichen Wertsystems müssen die ausgewählten Versuchskaninchen alles dransetzen, um sich in den Vordergrund zu spielen und für ihr Verhalten Stimmen zu sammeln. Das erklärt die künstlich aufgeheizte Stimmung im Kutscherhof. Sie ist gut mit der Medienbeflissenheit konventioneller Politiker vergleichbar und wirkt entsprechend lächerlich. Die Lächerlichkeit ist jedoch in dem Regeln der Mediengesellschaft begründet. Wenn die Bevölkerung unter dem Einfluß von Kameras Entscheidungen zu treffen hat, soll es niemanden wundern, daß sich die wahlwerbenden Personen aufgeregt zu positionieren suchen. Die Frage nach Inhalten ist damit — abgesehen von Schönheitswettbewerben im weitesten Sinn — noch nicht vom Tisch. Die Kandidatinnen und Kandidaten benötigen ,,Positionen„, mit denen sie identifiziert und qualifiziert werden können. ,,Taxi Orange„ ist ein Lehrstück des komplizierten Prozesses, der zu TV-gesteuerten, politisch wirksamen Zuschreibungen führt. Entscheidend ist eine unvermeidliche, produktive Spaltung. Positionen können einerseits nur relativ zur Gruppe bezogen werden, deren Mitglieder zur Auswahl stehen; andererseits treffen sie sich aber gerade darum niemals genau mit den diffusen Präferenzen des ,,Wahlvolkes„. Die Mitglieder der Taxi-WG gewinnen ihr Profil durch die Interaktionen, zu denen sie in ihren Zusammenkünften unter Kamera-Aufsicht genötigt sind. Sie bieten damit Projektionsflächen, auf welche die Fernsehkonsumenten ihre Wünsche und Meinungen abbilden. Diese Identifikationen sind wahlentscheidend: die Stimme geht an jene Person, die im Mikrokosmos des vorgespielten ,,politischen Lebens„ am ehesten die Auffassungen des abstimmenden Individuums vertritt. Die angesprochene Spaltung führt dazu, daß ein fernsehgerecht stilisiertes BÜndel von Entscheidungsoptionen, eingebettet in die entsprechende Dramaturgie, ,,der Öffentlichkeit„ zur Auswahl angeboten wird. Der Aspekt politischer Bildung wird durch die Inszenierung der wöchentlichen Wahl des Publikumslieblings massiv unterstrichen. Auf den ersten Blick scheint die Abfrage der Resultate dem europäischen Song-Contest nachempfunden. Passender ist ein Vergleich mit der Show am nationalen Wahlsonntag. Bundesland für Bundesland wird über die Darbietung innerhalb der Testgruppe abgestimmt. Während das Vokabular diverser Interessensvertretungen kaum Erfolg verspricht, behauptet sich das landsmannschaftliche Denken überraschend stark. Besser läßt sich ein zentrales Dilemma des gegenwärtigen politischen Prozesses kaum illustrieren. Oberösterreicher können noch so überzeugt für ihre Kandidatin eintreten, auf Bundesebene sind sie damit chancenlos. Dort reussieren jene Personen, denen es am glaubwürdigsten gelingt, einen Sinn für die Kommunität mit der Existenz als Projektionsfläche für Zuseherinnen und Zuseher zu verbinden. Die beiden nicht-konformen Frauen finden sich am unteren Ende der Skala, der generell ,,coole„ bzw. einfühlsame Kandidat ganz oben. Die ,,bodenständigen„ Wählerinnen und Wähler müssen mit den Erfolgen von Repräsentanten leben, die ihre provinziellen Vorlieben durchkreuzen. (Ein erprobtes Mittel, um diese Niederlage umzudrehen, ist die Mobilisierung von Ressentiments.) Zuletzt eine besonders pädagogische Pointe. Der Sieger der Abstimmung ist bei seinen Entscheidungen maßgeblich an die internen Gesetzlichkeiten der Gruppe gebunden. Er ist nicht einfach Exekutor des ,,Volkswillens„, sonst müßte er die jeweils letztklassierte Person nach Hause schicken. So entsteht ein Widerspruch zwischen seiner Wahrnehmung des ,,Gemeinwohls„ und dem Druck der Straße. Der Stoff verantwortungsbewußter Politik. Gegen die Snobs und medienkritischen Voyeuere: ein Votum für Max und Robert.