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Prinzipienreiter und Empiriker

Normalerweise schließen Verständigungsbereitschaft und Radikalisierung einander aus. Philosophie, speziell der schon von Kriemhild Trattnig ins Spiel gebrachte Deutsche Idealismus, versucht mitunter, beides zusammenzubringen. Die Denkfigur besagt, daß nur ein wirklich radikaler Ansatz tief genug reicht, um das Entstehen der Divergenzen begreifen und vereinbaren zu können. Insbesondere Hegel hat es meisterhaft verstanden, Widersprüche dialektisch als Bestandteil einer umfassenderen Problementwicklung nachzuweisen. Franz Ungler exponiert Hegels Freiheitsbegriff. Möglicherweise löst sich die angesprochene Unverträglichkeit aus dieser Position. Auf hohem Reflexionsniveau zeigt Ungler, daß es nur eine akzeptable Antwort auf die Prinzipienlosigkeit der Zeit gibt: Freiheit als konkret in die Praxis eingeschriebene Vernunft. Um diese Einsicht herum wird kräftig geschimpft, zuletzt stehen die Prinzipiendemonstrationen allerdings unverbunden und unreflektiert neben ihrem Gegenteil.

Die Bösen sind im vorliegenden Fall die "sogenannte analytische Philosophie" (Ungler, S.40), "das Marx- Freudgemisch einer bekannten, eine sogenannte Studentenrevolution initiiert habenden Schule" (Ungler, S.46) und die "ziellose Progressivität, die in ständiger Enttabuisierung und Gesellschaftskritik dazu gelangt (wenn ihr die beliebte Gleichsetzung des Menschen mit dem Tier allmählich langweilig wird) das Perverse hochzuschätzen." (Ungler, S.47) Ungler vermeidet Namen, doch es ist deutlich, daß seine Invektiven die bereits markierte Personengruppe treffen. Als hegelianisierender Philosoph verfügt er über einen Kniff, die Sache vom Persönlichen ins Geistige zu heben. Der unentschuldbaren "Zärtlichkeit uns selbst gegenüber", die "verhindert, daß wir etwa durch Selbstdisziplinierung oder gar durch Sittlichkeit uns Leid zufügen" (Ungler, S.50) begegnet er mit der "Anstrengung des Begriffs". Alle, die nach Hegel vom Versuch, die Wirklichkeit als vernünftig zu erweisen, abgekommen sind, haben die Nerven verloren.

Im Sinn des logisch fundierten Entwicklungsbegriffs bzw. der Einsicht, daß die Besonderung und Beschränkung keine Verunreinigung, sondern Konkretisierung der Freiheit bedeutet, ja daß sie erst darin mit sich identisch ist, daß sie die Endlichkeit nicht verschmäht, konnte die Geschichte ... in ihren konkreten Gestalten begriffen werden. (Ungler, S.48f)
Sprich: Hegel hat geschafft, was allen vor und nach ihm unerreichbar blieb, nämlich den Gang der Weltgeschichte zu durchschauen. Der so eröffnete Vernunftzustand liegt in der Erfüllung der sittlichen Bestimmung des Individuums in Ehe, Familie und Patriotismus (Ungler, S.49f). Der "Weltstaat" ist ein Unding, das nur die animalischen Bedürfnisse einer zusammengewürfelten Menschenmasse befriedigen könnte.

Zur Logik dieser Ausführungen gibt -- wie Ungler eigens hervorhebt -- die christliche Theologie das Vorbild. Inkarnation heißt, daß einmal in der Geschichte Gott Mensch geworden ist. Wir müssen zur Erlösung auf nichts mehr warten. Philosophisch gewendet: Ein Studium der Schriften Hegels ist alles, was fürderhin zur Lösung der Probleme reicht. Die Rolle der Heiden in diesem Schema übernimmt dabei die "exakte Wissenschaft". Sie glaubt, den Dingen durch geregelte Forschung auf den Grund kommen zu können.

Der philosophisch Naive könnte meinen, daß diese Frage erforderte, das Insgesamt der Bedingungen dieser Kenntnis vom Urknall bis dato aufzuzählen, wie uns die evolutionäre Erkenntnistheorie diesbezüglich eine Geschichte erzählt. (Ungler, S.47)
Dagegen gilt jedoch:
... der Grund alles Wissens ist die Form: Ich weiß, und diese ist schlechthin aus keinem Ding oder einem Zustand der Dinge abzuleiten. Die Ichheit als die absolute Form alles Wissens ist als sich selbst setzend, Setzen des Objekts, von welchem sie sich ebenso als Subjekt unterscheidet (sich entgegensetzt. (a.a.O.)
In dieser komplizierten Sitzordnung wird man sich ohne Platzanweiser kaum zurechtfinden. Im Gesamtbild des Jahrbuchs hat sie sich allerdings nicht durchgesetzt. Wenige Seiten von ihr entfernt hat sich ein Vertreter genau des Gegenteils niedergelassen.

Rupert Riedl kommt in der Auseinandersetzung um Grundlagenfragen der moderate Part zu.

Für diese neuen Lebensprobleme aber, so behaupte ich nun, sind unsere alten Anschauungsformen, jene Entscheidungshilfen unserer Vernunft, nicht geschaffen. Und wo die Prognostik regelmäßig an der Erfahrung scheitert, dort sollten wir sie übersteigen. ... Wohl ist es wieder nicht mehr als ein weiterer Adaptierungsschritt, den uns die Evolution abverlangt -- nunmehr eine Adaptierung unzureichend adaptierter Anschauungsformen, die genetisch zwar nicht mehr änderbar sein werden, aber korrigierbar durch Erfahrungen. (Riedl, S.247)
Die "Unentscheidbarkeit zwischen einer empirischen, einer rationalen und einer 'sozialen' Wahrheit (Riedl, S.253) folgt auf den Fuß. Christologie trifft auf Evolutionstheorie, auch auf dem Feld der Theorie zeigt sich die Bruchlinie. Der programmatisch-aggressive Standpunkt der Überlegenheit koexistiert mit vorsichtigen Versuchs- und Irrtums-Verfahren. Noch einmal: Aus der Sicht des weitverbreiteten Pluralismus wäre dagegen nichts zu sagen. So aber werden zornige Angriffe gegen die Unentschiedenheit vorgebracht und gleich darauf nicht ernst genommen.

Die intellektuelle Substanzlosigkeit des ganzen Unternehmens springt ins Auge. Man könnte die Abgrenzung der Feindpositionen zumindest konsequent nennen, wenn sie den großen Gesten auch den Verzicht auf demokratisierende Verwaschenheiten folgen ließe. Und umgekehrt würden sich manche vom guten Willen liberaler Persönlichkeiten überzeugen lassen, wenn die Unduldsamkeiten ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht gar so aufdringlich den Ton angäben. Die eierlegende Schafwoll-Kuh ist zumindest so konzipiert, daß sie sich selber nicht zerfleischt. Wenn die Scharfmacher jedoch meinen, was sie sagen, müßten sie der Partei das Auge, das nach außen schielt, ausreißen. Oder sie setzen auf Polarisierung und Liberalität, dann werden ziemlich starke gedankliche Betäubungsmittel nötig sein.


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Mon Feb 5 20:36:13 MET 1996