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Eine Satzprobe

Am Anfang stand Tarskis Illustration des Kriteriums zur Abschätzung der Korrektheit seiner Wahrheitsdefinition. Die Definition muß so beschaffen sein, daß sie Sätze der Form ,, ,Schnee ist weiß` genau dann, wenn Schnee weiß ist`` generiert. Solche Formulierungen erfassen - so Tarski - die Intuition, die unserem Wahrheitsverständnis zugrunde liegt. Donald Davidson hat sich der damit vorgegebenen Struktur bedient, um, in Abkehr von Quines Verdikt, Bedeutungen zu rehabilitieren. Ganz kurz gesagt: Es handelt sich um Konstrukte, die Sprecherinnen einsetzen, um den internen Kohärenzzusammenhang fremdartiger artikulierter Zeichenproduzenten systematisch zu erfassen. Ein akustisches Ereignis des Typus ,,[sne:]`` bedeutet, was wir Schnee nennen, wenn es in den zu untersuchenden Sätzen mehr oder weniger demselben logischen Muster folgt, wie in unseren Übersetzungen. Diese einflußreiche These ist nicht der Gegenstand der folgenden Ausführungen. Stattdessen werde ich an Davidson geschulte Konsequenzen aus einem Übungssatz ziehen, der dazu dienen kann, das Verhältnis von Wahrheit, Interkulturalität und Toleranz zu verdeutlichen. Vorweg noch eine Warnung. Quines ,,radical translation`` und Davidsons ,,radical interpretation`` sind Gedankenexperimente, die Interpretationen vor konstruktionsgemäß unverständliche Zeichenfolgen stellen. Nur so lassen sich die unentbehrlichen Bestandteile des Fremdverstehens herausarbeiten. Davidsons Resultate behalten ihre Gültigkeit auch wenn sich herausstellt, daß alle Beispiele, die seine Thesen plausibel machen, aus Sprachzusammenhängen stammen, in denen bereits Verstehen herrscht. Im Folgenden wird gezielt ein ökumenisch brisanter Satz formuliert, der die Last der Toleranzdebatte tragen kann. Er wird Regeln unterworfen, die Davidson für die ,,radical translation`` aufgestellt hat. Die Idee ist, daß elementare Einsichten in die Methodologie der Bedeutungszuschreibung ein Korrektiv für das schlampige Wohlbefinden sind, in dem die genannten europäischen Intellektuellen sich gerne gerne verweilen.

Die folgende Aussage klingt wie ein nutzloser Leerlauf:

Der Zweck des Trauergottesdienstes für die Opfer des Seilbahnunglücks von Kaprun ist die Feier eines Trauergottesdienstes.

Die strukturelle Ähnlichkeit mit dem Tarski-Satz, der ebenfalls dem Tautologieverdacht unterliegt, besteht darin, daß ein Sprachsegment, in diesem Fall ,,Trauergottesdienst``, durch die Verwendung eines gleichlautenden Ausdrucks erklärt wird. Was soll das helfen? Wer das Wort kennt, erfährt nichts Neues und wer es nicht kennt, bleibt im Dunkel. Das ist ein ganz verkehrter Einwand. Der Satz exemplifiziert zentrale Aspekte des Umgangs mit Lebensordnungen, Fremdheit und Relativismus. Um seine Funktionsweise herauszupräparieren, sind allerdings zunächst zwei unzureichende Interpretationen abzuwehren. Die eine Deutung liest den Satz als eine Selbstbestätigung im Sinn von ,,Wir sind wir¡` Der Gottesdienst wird gefeiert, weil in dieser Situation ein Gottesdienst zu feiern ist. Das sagt etwa der Pressereferent des Erzbischöflichen Ordinariats. Die Praxis spricht für sich. Ein solcher Umgang mit Gepflogenheiten ist nicht verkehrt, allerdings auch nicht unproblematisch. Die Verdoppelung zeigt es schon: der einfache Satz genügt nicht. Die Hierarchie im Satz, die Erläuterungsabsicht, deutet auf eine zweite Lesart.

Diese Version stellt man sich am Besten so vor, daß das erste Vorkommen von ,,Trauergottesdienst`` - wie Tarskis Satz der Objektsprache - unter Anführungszeichen steht. Jemand fragt danach, welchen Zweck die angekündigte Veranstaltung erfüllen soll. Die Antwort: den Zweck eines Trauergottesdienstes. Hier wird damit gespielt, daß ein zitierter Ausdruck alles Mögliche bedeuten kann. Wenn Sprachausschnitte einmal isoliert und in Anführungszeichen gesetzt sind, haben sie die Selbstverständlichkeit verloren, Bedeutungen mitzuteilen. Selbst ,,Trauergottesdienst``, das Wort, das wir verwenden, um die betreffende Praxis zu bezeichnen, ist in der beschriebenen Position bedeutungslos und könnte im Prinzip auch als Fernsehspiel übersetzt werden. Gemäß der 2. Deutung insistiert der Übungssatz darauf, ein ,,Trauergottesdienst`` sei kein Fernsehspiel. Das schließt, im Gegensatz zur ersten Interpretation, das Zugeständnis ein, daß die Veranstaltung so mißverstanden werden könnte. Es gibt keine Garantie dafür, daß ,,Trauergottesdienst`` nicht Pressekonferenz oder alpenländisches Bankett bedeutet. Diese Sichtweise ist in akademischen Kreisen populär. Die Selbstverständlichkeit des Herkömmlichen wird distanziert, um für alternative Deutungen Platz zu schaffen. Ein ehrenwertes Motiv ist die Kritik am unreflektierten Verhalten, das den Deutungsanspruch unwillkürlich monopolisiert. In diesem Licht betrachtet lautet die indirekte Mitteilung des Satzes eigentlich ,,Ein Trauergottesdienst ist kein Trauergottesdienst``. ODer, wenn Sie es weniger paradox wollen: die Verwendung des selben Wortes verbürgt kein Einverständnis. Wozu sollen diese Verrenkungen gut sein? Sie führen schnurgerade in die Mitte des Toleranzproblems.

Die evangelische Superintendentin hört ,,Trauergottesdienst`` und denkt an Trauergottesdienst, nämlich die Feier, die in ihrer Kirche üblich ist. Dasselbe tut der Erzbischof und plötzlich wird die scheinbare Tautologie zum Auslöser eines Konflikts. Jede Partei versteht unter dem Wort ihren Trauergottesdienst. Die Formulierung des Übungssatzes erweist sich an dieser Stelle als erster Schritt zum gesellschaftlichen Disput. Indem sie ein Verhältnis zwischen der Nennung und dem Gebrauch eines Sprachausdrucks statuiert, eröffnet sie den Rahmen, in dem es ein umstrittener Ausdruck sein kann. Das Zitat einer Selbstverständlichkeit ist schon ein wenig von der gelebten Selbstverständlichkeit entfernt. So erlaubt unser Beispiel, sprachanalytisch eine Auseinandersetzung zu modellieren, die sich zwischen Katholiken und Protestanten entwickelt. Es geht um ,,Trauergottesdienst``, zweimal wird dasselbe Wort verwendet. Würde eine Partei von ,,Gedenkstunde`` sprechen, entstünde kein Problem. Und: dieser Terminus wird auf unterschiedliche, ja einander ausschließende, praktische Kontexte einbezogen. Die Konsequenzen sind bekannt. Sowohl sprachanalytisch, als auch kirchenpolitisch legt sich das Toleranzprinzip nahe. Man sollte nicht um Worte streiten, sondern einfach die Terminologie entsprechend ändern. Dann herrscht friedliche Koexistenz. Demgegenüber ist das Beharren auf der ersten Lesart Zeichen einer starren, dogmatischen Geisteshaltung; eine Rückkehr in die Mentalität der Religionskriege.

Nach diesem Muster wird die Auseinandersetzung zwischen liberalen und konservativen Kräften in der Gesellschaft in der REgel wahrgenommen. Das Schlagwort lautet ,,Unnachgiebigkeit oder Dialogbereitschaft``. Es steht außer Zweifel, daß der moderne Staat auf zahllosen Kompromissen beruht, die sich durch die gezielte Entschärfung potenziell destruktiver Konflikte zwischen Interessensgruppen auszeichnen; also z.B. durch einen ökumenischen Gottesdienst. So gesehen sind die Fronten deutlich: der Erzbischof ist beklagenswert intolerant. Dieses Urteil geht der Sache nicht auf den Grund. Es hängt sich an den Marktwert von Termini wie ,,Flexibilität``, ,,Modernität``, ,,Individualität`` und verfehlt entscheidende Gesichtspunkte der Gegenseite. Auf die Gefahr hin, revisionistisch zu erscheinen, soll im Folgenden die Position des Erzbischofs möglichst stark gemacht werden. Erinnern Sie sich, das Beispiel ist der Alltagspolitik entnommen, wird aber mit dem methodologischen Elan der ,,radical interpretation`` diskutiert. Das heißt, ein Konflikt, der konsensuell lösbar wäre, wird so verschärft, als könnten die Kontrahenten sich überhaupt nicht verstehen. Das Ergebnis ist entsprechend forciert - und doch auch nicht. Toleranz ist einfach, wenn es nicht um die Wurst geht. Sie muß am Ernstfall, am Verständnisabbruch gemessen werden. Der Übungssatz enthält das dazu nötige Instrumentarium.


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h.h.
2000-12-29