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Negation

Im westlichen Neo-Marxismus der kritischen Theorie steckt eine Arroganz, die fraglich scheinen läßt, ob ihrer Solidarität zu trauen ist. Eine Vignette aus der ,,Negativen Dialektik`` führt das Problem vor Auge. ,,Nicht ist jegliche als primär auftretende Erfahrung blank zu verleugnen.`` 14 Der Satz enthält die Zuwendung zur quasi unschuldigen Sache, die Adorno nicht mit schematischen Konstrukten zu überrollen verspricht. Doch dieses Motiv ist in eine Formulierung gefaßt, die unmißverständlich klar macht, wer dabei das Sagen hat: der idiosynkratische Philosoph, dessen sprachliche Extravaganz und spekulative Kraft nicht nur den Ton angibt, sondern auch bestimmt, wann solche ,,als primär auftretende Erfahrungen`` zu honorieren respektive zu attackieren sind. Der Tendenz des Denkens, sich an die Dinge wegzugeben, widersprechen Verdikte wie ,,Kein unreflektiert Banales kann, als Abdruck des falschen Lebens, noch wahr sein.`` 15Was am Einzelnen eigentümlich sein soll, sei ,,präformiert, stets fast Geblöck $\ldots$``16 Hegels konstitutiver Vorsprung des Geistes auf seinem Gang durch die Geschichte wirkt in solchen Passagen ungebrochen weiter. Im Westen wurde daraus bei Adorno-Adepten bisweilen eine Attitüde, im Osten waren die Folgen eindringlicher. Die Arroganz mutierte zur Selbstverteidigung und verwickelte die Betroffenen in eine schwer erträgliche Gegen-Abhängigkeit vom Regime.

Der Buchtitel ,,Negative Dialektik`` enthält die Assoziation an ,,Negative Theologie``, die Adorno auch an prominenter Stelle herausstreicht. Das Hinaustasten der Gedanken zum Inkommensurablen findet ,,nirgends Schutz als in der dogmatischen Tradition``.17 Demselben Duktus folgend hat H.-P. Krüger, wie seine Selbstdiagnose belegt, die Negativkraft der Gedanken zur Gewähr ihres Wahrheitsgehaltes gemacht.

Bis zum Ende der 70er Kahre bedurfte ich lebensgeschichtlich einer Position, die sich gegen die Anfeindungen seitens der offiziellen Ideologen dadurch behaupten konnte, daß sie sich selber noch geschichtsphilosophisch privilegierte. Und sei es auch nur in der Gestalt von Engeln, die aus negativen Erfahrungen hervorgegangen waren und durch das gewußte Paradox ihrer Abwesenheit glänzten. Die Disziplinierungstechniken der neostalinistischen Diktatur $\ldots$ provozierten bei den Exkommunizierten Versuche, sich vor ihren Selbstzweifeln durch eine Art Sendungsbewußtsein zu schützen.18

Negative Arroganz, sozusagen. Sie war an den Staatssozialismus gebunden und erwies sich danach als - teilweise selbstverursachte - Deformation. So kann solidarische Subversion kollabieren: Das Ideal, dem noch im Protest die Anstrengung gilt, erweist sich als maßlos überzogen. Die Konstruktion der sachdienlichen Opposition verfehlt die Realität. H.P. Krüger stößt auf die erfrischenden Widersprüche des unreflektiert Banalen:

Ein Professor der marxistisch-leninistischen Philosophie stellte mir nach meinem dreijährigen Lehr- und Publikationsverbot die zunächst taktlos anmutende Frage, ob ich Typhus gehabt hätte. Wäre der Mann nicht opportunistisch und zudem auch noch faul, d.h. durch und durch menschlich gewesen, er hätte jene Frage nicht - wie sich herausstellte - besorgt gemeint haben können.19

Engel, die faszinieren, weil ihrer nicht habhaft zu werden ist, sind an dieser Stelle falsch am Platz.

Ich lernte wieder, ohne revolutionäre Ungeduld von Mensch zu Mensch zu reden, ob in Kneipen und Ferienjobs, bei Abenteuern und auf Reisen, beim Einkauf und im Hausflur. Zweibeiner waren Zweibeiner, bevor und nachdem sie philosophisch, politisch. sozial, kulturell oder sonstwie zu dieser und jener Rubrik gehören mochten. Die Engel gab es tatsächlich auf der Straße, aber sie wurden nie einen Pferdefuß los. Sie ähnelten eher Kentauren auf dem Weg zur U-Bahn.20

Das liest sich wie eine Umsetzung von Adornos Rat an die Dialektik, sich dem Kleinen, Unbedeutenden zuzuwenden. Nur ist dabei die Dialektik verlorengegangen. Das Reglement, das vorgibt, welche Unwichtigkeiten wichtig sind, greift nicht mehr.

Der systematische Kontrollanspruch verträgt sich schlecht mit der Freigabe der Gegenstände. Das gilt auch für die negative, internalisierte Version der Kenntnis des großen, weltgeschichtlichen Zusammenhangs. H.-P. Krüger formuliert die Absage an deren Suggestion mit entdeckerischer Emphase:

Keine Vertagung mehr; keine höhere Notwendigkeit mehr, die Perioden der Zweck-Mittel-Verkehrung tapfer durch Selbstkasteiung durchstehen $\ldots$ zu müssen.21

Auf eine Parole gebracht: ,,Mit dem Verrat leben``22. Auch hier wirkt noch bestimmte Negation. Die Zustände in Kneipen und auf dem Weg zur U-Bahn sind nicht von sich aus ,,Verrat``. In dieser Weise erscheinen sie, weil eine Vorgeschichte das Gewöhnliche unter das Verdikt des Banalen, im besten Fall aufklärungsbedürftigen, gestellt hat. Dieser Auffassung wird verräterisch widersprochen; das positive Anliegen H.-P. Krügers ist negativ vermittelt. Gleichzeitig ist greifbar, daß Dialektik an dieser Stelle nur mehr eine rhetorische Reminiszenz ist. Der Titel ,,Demission der Helden`` erinnert an ,,Dekonstruktion``. Die Aufgabe, die der Autor für die Zeit nach der Wende beschreibt, verstärkt diesen Eindruck.

Helfen beim Auf- und Abbau der Helden, bis diese Rolle lebensgeschichtlich tragbar und übertragbar wird, ohne im Schicksal der Kreuzigung enden zu müssen. Wo anfangen? - Im nächstliegenden Kleinen.23

Das gäbe eine günstige Gelegenheit, die Motivgeschichte der ,,bestimmten Negation`` in die sogenannte Postmoderne münden zu lassen. Die Durchkreuzung hierarchischer Systemzusammenhänge als Strategie gegen die Kreuzigungen, die sie immer wieder erzwungen haben, wird mittlerweile nicht mehr in spiegelbildlich abhängiger Antithese zu totalitäten Regimes praktiziert. Das Instrumentarium hat sich differenziert, ebenso wie die Quellen der Unterdrückung, denen Widerstand zu leisten ist. Dennoch: abwesende Engel sollte man nicht unterschätzen.

Sie können unversehens auftauchen, in verwandelter Gestalt. Jacques Derrida hat genau zur falschen Zeit begonnen, seine Gedanken über den Marxismus zu veröffentlichen.

Ich glaube an die politische Tugend der Unzeitigkeit. Und wenn etwas Unzeitiges nicht die mehr oder weniger kalkulierte Chance hat, gerade zur rechten Zeit zu kommen, dann kann das Unzweckmäßige einer (politischen oder sonstigen) Strategie immer noch zu zeugen von der Gerechtigkeit $\ldots$24

Die überall verbreiteten Nachrufe auf das kommunistische Programm erwecken Mißtrauen. Der Eifer, mit dem seine Themen als diskreditiert erklärt werden, verrät die Absicht. ,,Aber der wirksamste Exorzismus gibt sich den Anschein, den Tod festzustellen, nur um zu töten.``25Das Unisono der politischen Kommentatoren erzeugt Widerstand und da Engel nicht recht in Mode sind, treten sie als Gespenster auf. ,,Welchen Modus der Präsenz hat ein Gespenst? Das ist die einzige Frage, die wir hier stellen wollen.``26 Geister treten auf, wenn eine Lebensgeschichte mit dem Tod der Person noch nicht erledigt ist. Sie sind ein Manifest: Die Sache, um welche es in diesem Rahmen ging, blieb offen und verlangt danach, wieder aufgenommen zu werden.

Das Eigene eines Gespensts, wenn es das gibt, besteht darin, daß man nicht weiß, ob es, wiederkehrend, von einem ehemals Lebenden oder von einem künftig Lebenden zeugt, denn der Wiedergänger kann bereits die Wiederkehr des Gespensts von jemandem oder etwas bezeichnen, dem das Leben erst noch versprochen ist. Unzeitigkeit, noch einmal, und Störung des Gleichzeitigen. In dieser Hinsicht ist der Kommunismus immer gespenstisch gewesen und wird es auch bleiben $\ldots$27

Mit leichter Hand zeichnet Derrida zentrale Gedanken der kritischen Theorie nach. Seine Dekonstruktion, die jahrzehntelang ohne politische Theorie ausgekommen ist, entpuppt sich als marxistisch inspiriert.

Derrida betont genau die Linie, die im vorigen Abschnitt zu einem Ende geführt hat. Aus der Rückwendung auf uneingelöste Hoffnungen, deren Verwirklichung ein vorläufiger Sieg der Widervernunft blockiert, läßt sich ein spekulativer Vorsprung gewinnen, der sich leicht mit dem Gestus moralischer Superiorität verknüpft. Das oppositionelle Sendungsbewußtsein entfaltet seine Wirksamkeit wie eh und je. ,,Diese Kritik gehört der Bewegung einer Erfahrung an, die für die absolute Zukunft dessen, was kommen wird, offen ist $\ldots$``28Eine ,,abstrakte, wüstenhafte, ausgelieferte Erfahrung``29 mit den bekannten Zügen der dramaturgischen Selbststilisierung des - zu seinem Glück - unglücklichen Bewußtseins.

Einmal mehr, hier wie anderswo, wie überall, wo es um die Dekonstruktion geht, würde es sich darum handeln, eine $\ldots$ Affirmation, wenn es eine gibt mit der Erfahrung des Unmöglichen zu verbinden $\ldots$30

Die bekannte Geste des Propheten. In ihr, so bestätigt Derrida, ,,$\ldots$ kann man noch einiges an wesentlicher Affinität zu einem gewissen messianischen Geist $\ldots$``31 finden. Die Parallelen sind unübersehbar, nichtsdestoweniger ist die Wiederkehr des Engels als Gespenst keine kritische Theorie für die gegenwärtigen Umstände. Die letzte Formulierung ist ein genauer Indikator. Derrida reklamiert wesentliche Affinität zum messianischen Geist und nimmt die Aussage noch im selben Satz zurück. ,,einiges an wesentlicher Affinität``, ein gewisser messianischer Geist. Die promulgierte radikale Erfahrungsoffenheit der Dekonstruktion führt in der Regel zu langwierigen Einschränkungen und Modifikationen kühner verbaler Stellungnahmen.

Das ist der Grund, warum eine solche Dekonstruktion nie marxistisch gewesen ist, ebensowenig wie nicht-marxistisch, obwohl sie einem gewissen Geist des Marxismus treu geblieben ist, wenigstens einem - denn man kann nicht oft genug wiederholen, daß es mehr als einen davon gibt und daß sie heterogen sind.32

Es ist nicht einzusehen, wo dieses mit Jenseitsaussichten geschmückte Wenn-und-Aber die Sache weiterbringt, für die es - unzeitgemäß - eintritt. Das Ausfransen der Grenzen der Dialektik in Adornos Entwurf scheint prolongiert.

Im Vergleich zu Adornos und Derridas pathetischer Beschwörung der Offenheit inmitten elaborierter Theoriekonstrukte wirkt H.-P. Krügers Erfahrungsbericht wohltuend nüchtern. Ist das ein Weg aus der Tradition, Utopie als Kutschpferd einzuspannen?

Die unglückselige Trennung zwischen den auserwählten Helden, die sich von positiven in negative verkehren, und der ewig stumpf scheinenden Masse war endlich aufzubrechen.33

Doch diese Aussicht ist mit einem Widerspruch belastet, der bereits in der ,,Negativen Dialektik`` aufgetreten war. Wenn das Alltägliche ohne theoretischen Filter zugelassen wird, verliert es nicht bloß die Anrüchigkeit des Banalen, sondern im gleichen Zug die Attraktivität als unbeschädigtes Einzelnes. Was die Meisten tun, ist dann weder abzulehnen, noch anderswie hervorzuheben. Dialektik, die sich selbst aus der Diskussion nimmt, kann nicht damit argumentieren, ein angemessener Diskurs bliebe zurück. H.-P. Krügers Vorschlag macht nur unter der Bedingung Sinn, die er im ersten Satz seines Buches ausspricht: ,,Hand auf's Herz: Wer von uns wäre nicht gerne ein Held geworden¿`34 Die Befreiung zum Naheliegenden, die Loslösung vom Negationskrampf, ist ohne das Phantasma des Helden nicht zu denken. Man kann die ganze theoretische Schematik verwerfen, innerhalb derer sich die diskutierten Probleme ergeben. Aber man sollte nicht so tun, als ob aus ihrem Ungenügen anders als ungenügend zu entkommen wäre.


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h.h.
2000-07-09