Textvorlage für ein im Sommer 2000 veranstaltetes Tele-Seminar zu „Rassismus und Philosophie“.

 

 Man muß nicht glauben, wenn man ein Hausherr is, daß man dann alles durchsetzt.

Hausherr kann ein jeder sein, der sich ein Haus kauft; und überhaupt,

da is jetzt gar nit drauf zu gehn;heutzutage gibt’s Hausherrn, daß Gott erbarm‘! 

(Nestroy, a.a.O. I, 10)

 

Diskriminierung beruht auf einer Logik des Unterscheidens und Bewertens, die sich separat von einzelnen diskriminierenden Akten diskutieren läßt. Sie muß sogar separat diskutiert werden, um politische Überzeugungen von philosophischen Analysen getrennt zu halten. Ich wähle einen absichtlich artifiziellen Beispielsatz, um fundamentale Zusammenhänge zwischen Unterscheidungssystemen und ihren Effekten zu behandeln. Erst zum Schluß wird eine Nutzanwendung auf das Verhältnis zwischen Weltbetrachtungen, die sich des Rassenbegriffes bedienen, und den derart organisierten Erfahrungen vorgeschlagen.

 

Eine Satzprobe

Die folgende Aussage scheint bestenfalls einen rhetorischen Leerlauf zu enthalten:

 

Der Zweck des gregorianischen Kalenders ist die Einteilung des Jahres nach dem gregorianischen Kalender.

Entgegen dem Anschein ist dieser Satz – bei genauerer Betrachtung – hochinteressant. Ich werde eine Lesart entwickeln, in der er als Exempel des sachgemäßen Umgangs mit Lebensordnungen, Fremdheit, Relativismus und Endlichkeit dient. Dazu sind einleitend zwei kurzsichtige Interpretationen abzuwehren, die eine sozusagen chauvinistische bzw. relativistische Deutung anbieten.

Der eine Sinn ist: ,,Wir sind wir!“ Zweck des Einteilungsprinzips sei natürlich die entsprechende Einteilung. So gesehen eine uninteressante Wiederholung, in der eine Behauptung allenfalls deshalb verdoppelt wird, weil sie beim ersten Mal zu wenig überzeugt hat. Dagegen kann, das ist die zweite Deutung, eine gezielt minimalistisch operierende Leserin in der Formulierung einen empirischen Gehalt erkennen, der sich mit dem ,,offenkundigen“ ersten Sinn gerade nicht verträgt. Der gregorianische Kalender könnte immerhin zur Erfassung des Ablaufdatums von Tiefkühlkost oder zur Berechnung von Lotto-Tips eingesetzt werden. So gesehen ist es eine informative Mitteilung, der Kalender bestimme die Zeitrechnung eines Kulturraums. (Die implizite Polemik dieser Relativierung ist bekannt: Der Westen hat kein Recht, ein kontingentes Einteilungsprinzip als selbstverständlich zu betrachten und dem Rest des Globus zuzumuten.)

Die zweite, in akademischen Kreisen populäre, Deutung greift dennoch zu kurz. Sie betrachtet den Satz unter einer absichtsvollen methodologischen Verzerrung: ,,Der Zweck eines gewissen Schemas ist die Einteilung des Jahres nach dem gregorianischen Kalender.“ Diese Aussage macht ihr Subjekt zu einem Formalismus, der auf verschiedene Art eingesetzt werden kann. Die Selbstverständlichkeit einer Vor-Annahme wird distanziert, um für alternative Deutungen Platz zu schaffen. Ein derartiges Verfahren ist in der Kritik des Chauvinismus erprobt und wirksam. Es führt dazu, die eigenen Festsetzungen mit den Augen anderer Kulturen zu betrachten. Doch das Manko der strategisch eingesetzten Verzerrung ist ein Spiegelbild der überzogenen Selbstgerechtigkeit. Während diese das ,,gewisse Schema“ ohne Umstände mit dem unterstellten Zweck identifiziert, läßt der kritische Empirismus beides auseinander fallen. Als hätte die betrachtete Tabelle auf den ersten Blick gar nichts mit Zeitordnung und Machtverhältnissen zu tun.

Die Pointe ist polemisch effektiv. Sie verfehlt jedoch die philosophische Spannung des Beispielsatzes, der weder bloß identifiziert, noch gänzlich dissoziiert. Derselbe Terminus, nämlich ,,der gregorianische Kalender“, tritt in zwei verschiedenen Rollen auf. Beides ist festzuhalten: Der Satz spricht von einem Schema, das – methodisch isoliert genommen – keinen Bezug zur Beschreibung hat, mit der es versehen wird. Und: Darin, daß auf der Seite der Beschreibung eben der Terminus auftritt, der schon zur Bezeichnung des zu Beschreibenden diente, liegt eine Mitteilung, welche die ,,chauvinistische“ und die ,,relativistische“ Lesart gleichermaßen verfehlen.

 

Unterstellung

Worin liegt die strukturelle Pointe der Doppelverwendung von ,,gregorianischer Kalender“? Man muß, um diese Frage zu beantworten, die Phrase sorgfältig auseinandernehmen. Dem Anschein nach handelt es sich um einen Subjekt-Prädikat-Satz. Die Deutungen als Tautologie oder als empirisch gehaltvolle Aussage bauen darauf auf. Aber die gedankliche Spannung entfaltet sich erst, wenn der Satz als eine Verschachtelung von objekt- und metasprachlichen Operationen analysiert wird. Unter dieser Perspektive bietet er eine ambitionierte Synthese.

 

  • Er sagt etwas über ein Schema, dessen Zweck in Frage steht.
  • Er tut das mit Hilfe von Worten (einer Metasprache), die funktionieren müssen, um die Frage beantworten zu können.
  • Siehe da: die Antwort bedient sich eines Wortes, das genau dem Terminus entspricht, über den Auskunft verlangt war. Wozu haben wir den ,,gregorianischen Kalender“? Damit wir die Zeit nach ihm einteilen.

Alles hängt daran, zu verstehen, in welchem Sinn dieses Verfahren nicht zirkulär ist. Daraus ergibt sich in der Folge die Möglichkeit, der Spiegelfechterei zwischen Chauvinismus und Relativismus zu entgehen. Der Zirkel wird vermieden, weil die Wortfolge ,,der gregorianische Kalender“ auf zwei deutlich unterschiedenen Sprachebenen liegt. Das eine Mal bezieht sie sich auf ein in astronomischer Sprache verfaßtes Ordnungskonstrukt, dessen Verwendungsweise als unbekannt präsupponiert wird. Die Wortfolge ist interpretationsbedürftig. Ihr Auftreten im Rahmen der danach erfolgenden Interpretation gehorcht anderen Gesetzen; hier muß schon klar sein, was sie heißt. Andernfalls wäre die Erklärung bloß aufgeschoben. Die Rafinesse des Satzes läßt sich so beleuchten: Als Zweck des ,,gregorianischen Kalenders“ wird dem unbekannten Etwas ein bestehender Gebrauch, die Institution mit Namen ,,gregorianischer Kalender“, unterschoben. Das ist kein Zirkel der Erklärung, denn die Institution besteht bereits. Sie verleiht dem temporär bedeutungsreduzierten Ausdruck den kontextuellen Sinn.

Sofort drängt sich ein Einwand auf. Ist das nicht bloß eine hochtrabende Variante des Chauvinismus? Im Endeffekt wird auch in dieser Lesart das Verständnis des angesprochenen Themas mit einem bereits vorausgesetzten Verstehen des Themas kurzgeschlossen. Was ist damit gewonnen
, daß eine Einteilung der Welt nicht geradewegs statuiert, sondern als die Einteilung, die sie ist, erläutert wird? Antwort: Es macht den ganzen Unterschied zwischen der Dialektik von Chauvinismus und Relativismus auf der einen Seite, und einer Einschätzung, die quer zu diesen Fronten liegt. In der harmlos klingende Homophonie, die hier zu explizieren ist, versteckt sich die systematische Kritik eines schlampig gedachten Toleranzprinzips

 

Provokation

Die Formulierung des Beispielsatzes demonstriert eine anspruchsvolle hermeneutische These. Sie besagt, daß es ohne Sprachpraxis, d.h. ohne das vorausgesetzte Einvernehmen einer real existierenden Sozietät, nichts zu verstehen gibt. Der einzige Weg, mit der Lautfolge ,,gregorianischer Kalender“ Sinn zu verbinden, liegt darin, sie so zu explizieren, daß andere Sprecherinnen (m/w) etwas mit ihr anfangen können. Für eine Buchstabenkette wie ,,PCMCIA“ leuchtet das rasch ein. Aber es gilt genauso für die angeführte Formel. Gesetzt, der gregorianische Kalender sei unbekannt. Dann ist es zweifellos pädagogisch verfehlt, als seinen Zweck die Anwendung des gregorianischen Kalenders anzugeben. In dieser scheinbaren Zumutung steckt jedoch eine methodisch unverzichtbare Einsicht: Alles, was wir vorbringen können, um einer Person, die nicht mit dem Zweck des ,,gregorianischer Kalender“ genannten Schemas vertraut ist, die Sache zu erklären, kommt auf die eine oder andere Weise darauf hinaus, ihr nahezubringen, wie wir den Terminus gebrauchen. Darauf verweist, abgekürzt, der Einsatz des Terminus selber.

Im Unterricht und in erläuternder Konversation ist ein Vokabular zu wählen, das die beteiligten Gesprächspartner beide kennen. Man sagt etwa: ,, ,PCMCIA‘ steht für ,Personal Computer Memory Card International Association‘ “. Entscheidend ist, daß der erklärende Teil dieses Satzes nicht auf dasselbe Unverständnis trifft, wie das Acronym. Die Sprecherinnen, die sich mit Hilfe dieses Satzes verständigen, müssen die auftretenden Worte einlösen. Zur Erklärung könnte auch behauptet werden, ,,PCMCIA“ stehe für ,,People Can’t Memorize Computer Industry Acronyms“. Der Sinn liegt nicht in der Buchstabenakkumulation, sondern im Kontext, mit dem die Erklärung uns bekannt macht.

Mit dieser Wendung scheinen wir freilich auf die Seite des Relativismus geraten. Die Bedeutung des Acronyms verändert sich je nach den Umständen. Dagegen sind zwei Punkte festzuhalten. Erstens kommt überhaupt keine Erklärung zu Stande, wenn Sprecherinnen Buchstaben beliebigen Sinn zuordnen. Von ad hoc erdachten und gleich wieder verworfenen ,,Interpretationen“ alphabetischer Zeichenketten hat niemand etwas. Und dann liegt der Witz der an zweiter Stelle genannten Auflösung des Kürzels ,,PCMCIA“ gerade darin, daß sie eine Standardinterpretation voraussetzt und abwandelt. Dasselbe gilt für ,,gregorianischer Kalender“ und jede erklärungsbedürftige Zeichenkette. Um irgendetwas an ihr zu verstehen, muß sie in einen bestehenden Verständniskontext aufgenommen werden. Um sie alternativ zu verstehen, ist sie von diesem Kontext abzuheben. Sie braucht ihn, um Distanz zu schaffen.

 

Toleranz

Bedeutet ,,gregorianischer Kalender“ die Frischegarantie für Tiefkühlkost oder die Jahresgliederung, welche Papst Gregor eingeführt hat? Sehr tolerant könnte jemand behaupten, daß beides – und noch vieles andere – in Frage kommt. Laute können keinen verläßlichen Inhalt an sich binden. Eine solche Toleranz ist jedoch blind für das zentrale Problem. Sicherlich kann die Lautfolge zu ganz unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden. Nur: dann bedeutet sie auch immer etwas Anderes und damit nichts, was sich in den diversen Verwendungen durchhält. Damit verschwindet aber die inhaltliche Überschneidung der Interpretationsvarianten. Sie haben zueinander kein Verhältnis mehr, das der Rede – und vor allem der Toleranz – wert wäre. Toleranz kollabiert zur Indifferenz. Sie ist ja nicht daran zu testen, daß anderen Personen zugestanden wird, mit Lauten beliebige Inhalte zu verbinden. Ihr Kriterium liegt darin, ob es Andersdenkenden frei steht, mit bestimmten Worten auch etwas anderes zu verbinden, als eine jeweilige Sprachgemeinschaft. Toleranz akzeptiert Differenzen, das kann nur heißen: Abweichungen von einem Standard. Die pure Differenz, die Wertschätzung des Anderen als Anderen, ist eher ein erhebendes Gefühl, als eine kognitive Einstellung.

Die Provokation, zu welcher der Passus über den gregorianischen Kalender diente, liegt also darin, daß der Gebrauch von Sprache unweigerlich Festlegungen erfordert und enthält, mit denen die jeweils Sprechenden sich eine Deutungshoheit anmaßen, der gegenüber Alternativen ,,zu spät“ kommen. Plump ausgedrückt sind ,,Fremde“, nach diesem Befund, immer schon diskriminiert. Die angekündigte Position quer zu Fremdenhaß und Fremdenliebe basiert auf diesem Resultat. In seiner plumpen Fassung wirkt es eher abstoßend. Fügt man allerdings zwei Korollarien hinzu, die sich im vorgestellten Gedankengang ergeben haben, gewinnt die These (hoffentlich) an Überzeugungskraft. Es macht, erstens, keinen Sinn, Alternativen an den Anfang des Sprachverstehens zu setzen. Zweitens ist nicht nachvollziebar, was Alternativen anderes sein sollen, als Alternativen zu etwas. Diese Behauptungen sind gegen mehrere drohende Mißverständnisse zu schützen.

 

Alternativen

Gesagt ist nicht, daß Sprecherinnen niemals mit verschiedenen, äquivalente Deutungen gewisser Zeichenketten konfrontiert wären. Es geht nicht darum, den heilsamen Effekt zu leugnen, den die Entdeckung mit sich bringt, daß fremde Sozietäten mit gleichlautenden Worten anders umgehen. Die These bezieht sich auf den systematischen Ort, an dem es zu solchen Erfahrungen und den mit ihnen verbundenen Abwägungen kommen kann. Um etwas anders verstehen zu können, muß man es zuvor verstehen. Das ist kein Argument dagegen, Bedeutungswechsel zu vollziehen. Sondern ein Hinweis auf den Umstand, daß sich Alternativen und etablierte Umstände wechselseitig bedingen. Ohne festen Halt für die Füße kann ein Kasten nicht verschoben werden. Dagegen spricht nicht, daß der Fixpunkt auf den zweiten Blick seinerseits nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt. Diese Variabilität im nächsten Durchgang ist das Hauptmotiv der relativistischen Lesart des Beispielsatzes. In ihr fehlt die Hälfte der Beweglichkeit, nämlich die Standfestigkeit, ohne die es sich um erratische Positionsänderungen handeln würde.

Die Absicht von Versuchen, dem europäischen Wertsystem die Selbstverständlichkeit zu nehmen, geht dahin, Korrekturen für die Fehlentwicklungen zu finden, zu denen sein Imperialismus allerorten geführt hat. Damit es Korrekturen sind, nicht nach undurchsichtigen Bedürfnissen inszenierte Gegengewalt, ist ein Verhältnis zwischen Beschreibung, Sinn, Anwendung des Wertsystems und den erforderlichen Abweichungen zu statuieren. Das impliziert die Offenlegung operativer Unte
rscheidungen im Sinn der angebotenen Analyse. Sie hat mittlerweile, zusätzlich zu den artifiziellen Konstrukten und deren Erläuterungen in Sprachhandlungen, eine dritte Dimension gewonnen. Erläuterungen, die anfangs unhintergehbar schienen, können ihrerseits problematisiert werden. Oft sind sie so unverständlich, wie der Terminus, dessen Gebrauch sie klären sollen. Damit haben sich drei Stellungen des Gedankens zu fremdartigen Wortfolgen ergeben. Man kann solche Vorgaben frei verwenden, ohne sich darum zu kümmern, was andere damit meinen. Oder sie in Übereinstimmung mit einem herrschenden Konsens gebrauchen. Die dritte Option besteht in der partiellen Anerkennung eines Gebrauches, der neuen Regeln unterworfen wird.

 

Klischee, Rassismus

Die drei Positionen lassen sich selten sauber trennen. Ihr Zusammenspiel ist ein wichtiger Beitrag zur Dynamik, aber auch zur Verwaschenheit der Sprachpraxis. Wie ist z. B. das Wort ,,Klischee“ zu erklären? In seinem gewöhnlichen Gebrauch vermischen sich zwei Einstellungen, die analytisch auseinanderzuhalten sind. Einerseits wird mit diesem Begriff eine bestimmte Eigenschaft von ästhetischen Gebilden beschrieben, andererseits wird sie negativ bewertet. (Die positive Bewertung eines als prototypisch qualfizierten Gegenstands ergibt ein Vorbild.) In solchen komprimierten Verwendungsweisen läßt sich die doppelte Mitteilung erkennen, die vorhin in zwei Schritte auseinandergelegt wurde. Erstens: Klischees haben gewisse Eigenschaften, die sich deskriptiv wiedergeben lassen. (Vergleiche das astronomische Einteilungsmuster.) Zweitens: der Besitz dieser Eigenschaften wird vorweg gewertet.

Klischees sind unerwünscht. Die Formulierung ist so tautologisch, wie die erste Interpretation des Beispielsatzes. Um ihre Berechtigung herauszuarbeiten, muß sie im demonstrierten Verfahren in Schichten zerlegt werden. Negativ kann etwas nur bewertet werden, nachdem ihm eine bestimmte Beschaffenheit zugeschrieben worden ist. Beides auf einmal zu versuchen, d.h. die Beschaffenheit direkt abzuqualifizieren, ist ein bedenkliches Verfahren. Im neutralen Kontext des vorangegangenen Gedankengangs hatte das geheissen, bei der Deutung eines befremdlichen Wortes gleich mit Alternativen zu beginnen. Dagegen habe ich dafür plädiert, auf die Trennung der Festlegung einer Bedeutung und der (möglichen) Distanzierung von solchen Festlegungen zu achten. Die Nutzanwendung auf das Thema ,,Rassismus“ wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß es sich dabei um eine Art Klischeebildung handelt.

Jemandem eine ,,rassistische Bemerkung“ vorzuwerfen, gehorcht derselben Logik, wie die Verurteilung eines Klischees. Ein solcher Vorwurf hat eine komplexe interne Struktur, in der das Verhältnis zwischen zunächst als bedeutungsneutral hingestellten Phänomenen und ihrer Deutung sich verdoppelt. Die Person, welche des Rassismus beschuldigt wird, macht – so lautet der Vorwurf – keinen Unterschied zwischen ihren Wahrnehmungen und ihren Vorurteilen. Zweitens aber, und damit wird es verwirrend, unterliegt dieser Vorwurf seinerseits der beschriebenen Logik. Anti-Rassistinnen (m/w) sind nicht davor gefeit, eben den Kurzschluß zu produzieren, den sie ihren Kontrahentinnen (m/w) zum Vorwurf machen. Auch sie haben ihre Schlüsselreize, auf die sie ohne Trennung von Wahrnehmung und Vorurteil reagieren. In dieser Hinsicht stehen sie aufderselben Stufe, wie ihre Gegnerinnen (m/w).

Als Antwort darauf ist oft zu hören: Aber die Anti-Rassistinnen (m/w) sind methodologisch reflektierter. Sie wissen – oder sind zumindest eher bereit, zur Kenntnis zu nehmen – daß zwischen Erscheinung und Urteil ein Unterschied zu machen ist. Selbstkritisch wenden sie sich auch gegen die eigene, unwillkürliche, Blindheit. Das mag ja zutreffen, dennoch hat dieser Einspruch einen schwerwiegenden Schönheitsfehler. Er verteilt die Gewichte zwischen Xenophobie und Xenophilie auf stereotype Weise. Die einen reagieren kurzschlüssig und defensiv, die anderen reagieren auf diese Reaktion und halten sich größere Flexibilität zu Gute. Den Hausmeistern, als Inbegriff des diskriminierenden Verhaltens, stehen die Hausbesitzer gegenüber, die sich von der Masse durch ihr Unterscheidungsvermögen – unterscheiden.

Diese Verteilung ist eine Hypothek des anti-rassistischen Diskurses. Die vorgetragenen Überlegungen tragen dazubei, sie abzubauen. Sie rücken zwei normalerweise verdeckte Strukturmerkmale der Bedeutungskonstitution in den Vordergrund. Erstens braucht jede Sinnfestlegung, wie selbstkritisch sie immer sein mag, eine Sprachpraxis, in der sie ,,beheimatet ist“. Zweitens ist jede solche Sprachpraxis, egal ob sie es wahrhaben will oder nicht, von der Befremdlichkeit durchzogen. So wohlmeinend kann man gar nicht sein, daß man nicht Trennlinien ziehen müßte. Besser: Wohlmeinend kann man gar nicht sein, ohne dabei ein Trennsystem einzusetzen.

Die Interferenz, um die es in den beiden Punkten geht, enthält eine irritierende Tendenz zum Relativismus. Es scheint unerheblich zu werden, ob jemand rassistische oder anti-rassistische Vorurteile mitbringt. Dagegen richtet sich die Skizze der drei Stellungen des Gedankens zu fremdartigen Äußerungen. Ihr zufolge ist die Entwicklung von Alternativen gegen ein herrschendes Verständnis von der unbedachten Ausübung dieses Verständnisses wohl unterschieden. Man darf bloß nicht so tun, als wären die Alternativen selbstverständlich und ohne eigenen Deutungseinsatz verfügbar. Dem Relativismus ist durch Praxis zu entgehen, die sich auf Deutungen verpflichtet weiß. Intellektuelle lieben das Spiel, anderen fixe Überzeugungen zuzuschreiben und ihre eigenen dabei in Schwebe zu lassen. So machen sie sich unbeliebt. Abschließend daher ein Zitat zum Selbsttest.

 

Verdächtig

Der Beispielsatz war mit Bedacht harmlos gewählt. Die Lehren gelten jedoch auch für umstrittene Fälle, in denen etwa biologische Ordnungsmuster auf Menschen angewendet werden. Monika Firla zitiert Kants Meinung über Europäer und Afrikaner.

 

So wesentlich ist der Unterschied zwischen diesen zwei Menschengeschlechtern, und er scheint eben so groß in Ansehung der Gemüthsfähigkeiten, als der Farbe nach zu sein. (AA II, S. 253, zitiert nach IWK Mitteilungen 3/1997, S. 9)

Entsprechend den drei angeführten Positionen läßt sich diese Vorgabe unterschiedlich verarbeiten. Entweder man versteht nicht (oder verweigert das Verständnis davon), welchen Unterschied Kant meint. Oder man versteht es (nur zu gut), was wiederum den Anstoß dazu geben kann, den Umgang mit dem Unterschied alternativ zu organisieren.

Im Spektrum der damit angerissenen Möglichkeiten ist mir eine besonders verdächtig. Ich stelle sie als Karikatur ans Ende. Die Schriften toter Philosophen enthalten eine ansehnliche Menge ,,rassenkundlicher“ Bemerkungen. (So wie am Stammtisch üble Witze kursieren.) Aus ihrem Kontext extrahiert, sind sie unverständlich und/oder skandalös. Immer wieder gerät man in Versuchung, solche Passagen aufzustöbern und mit dem Finger auf ihre Anstößi
gkeit zu zeigen. Im Kontext des entwickelten Gedankengangs heißt das, sie erstens zur Fremdartigkeit zu distanzieren, ihnen zweitens den gegenwärtigen Begriff von Rassismus zu unterstellen und sich drittens gegen die damit synthetisierten ,,rassistischen Äußerungen“ zu verwahren. Das Vorgehen erinnert an Skandaljournalismus, der sich über Zustände empört, die er, um damit Gewinn zu machen, zum Skandal gemacht hat. Versöhnlicher gesagt: Opposition, wo alle oppositionell sind, ist der in solchen Verhältnissen herrschende Konsens. Wie Toleranz zu Indifferenz, kann Aufklärungsbedürfnis zu Besserwissen kollabieren.

Die mühsame Aufgabe bestünde darin, eine Argumentation zu entwickeln, welche die Rede von Rassenmerkmalen weder ignoriert, noch abqualifiziert, sondern transformiert. Vielleicht ist das zuviel der Ehre für solche Redeweisen. Hier, für den Ernstfall, noch ein Rat. Philosophie, die über Rassismus spricht, möge auf ebener Erde beginnen, wo die Verletzungen stattfinden. Nicht im ersten Stock, wo versucht wird, sie zu kurieren.

 

© Herbert Hrachovec

 

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