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Vorlesungsnotiz

Philosophinnen arbeiten mit Begriffen. Sie werden dazu ausgebildet, die Regeln ihrer Verwendung klar zu deklarieren und die Abhängigkeiten zu analysieren, die zwischen ihnen herrschen. Aber Philosophen geht es auch um spezielle Sachgebiete, etwa um die Grundlagen der Semantik oder Prinzipien der Gesellschaftsordnung. In der ersten Hinsicht ist Philosophie eine formale Disziplin, in der zweiten findet sie Zugang zu diversen Inhalten, also z.B. der Beschaffenheit sinnvoller Kommunikation oder sozialer Verhältnisse. ,,Philosophie'' ist schließlich auch der Name für institutionalisierte Lehr- und Forschungseinheiten an Universitäten, die, wie zunehmend deutlich wird, den Gesetzen des modernen Wissenschaftsbetriebs und damit der Ökonomie des öffentlichen Bildungssystems im Spätkapitalismus unterworfen sind. Wie verhält sich diese dritte Sicht zu den beiden anderen? Es scheint, als wäre Philosophie im Sinn einer Organisationseinheit des Erziehungsapparats dem Diktat administrativer Zwänge oft blind und bewußtlos ausgeseztt.

Ein Grund dafür liegt darin, daß sie den Bereich des Wissensmanagments ganz ausdrücklich als beunruhigende Konkurrenz betrachtet. Das akademisch eingebettete historisch-systematisch-reflektierende Nachdenken gewinnt sein Profil in Abhebung gegen die Verwaltung von Informationsangeboten zur stromlinienförmigen Erfüllung eines staatlich verordneten Plansolls. Begriffe der Informatik und Betriebswirtschaftslehre gehören nicht in seinen Kompetenzbereich. Schade. Denn aus analytischer Perspektive lassen sich jenen Begriffen überraschende Dimensionen abgewinnen. So schützt sich philosophische Arbeit vor dem Abgleiten in bildungspolitische Bedeutungslosigkeit. Sie dreht den Spieß um und widmet ihre Aufmerksamkeit dem Instrumentarium der Verwaltungstechniker. Ein illustratives Beispiel ist der Gebrauch des Begriffes ,,Relation'' im Bereich der Informationsverarbeitung.

Die von E.F.Codd erstmals 1970 vorgeschlagene Theorie relationaler Datenbanken ist das Musterbeispiel eines formal eleganten, technisch gut umsetzbaren Umgangs mit Information. Ihre Basiskategorie ist die mathematische Relation, definiert als Teilmenge des kartesischen Produktes einer Anzahl von Domänen. Das heißt im Klartext: Mengen von Gegenständen können zur Bildung einer speziellen Übermenge verwendet werden. Sie umfaßt geordnete Folgen von Gegenständen und zwar jene Folgen, deren erste Gegenstände der ersten Objektmenge, deren zweite Gegenstände der zweiten etc. entnommen werden, bis alle Elemente aller Objektmengen durchlaufen sind. Eine Auswahl aus dieser Menge von Mengen heißt Relation. Das Konzept läßt sich einfach verbildlichen: die Elemente einer Relation bilden eine Tabelle, deren Spalten die angenommenen Objektmengen und deren Zeilen die einzelnen geordneten Folgen darstellen. Dieser mengentheoretische Ansatz hat u.a. den Vorteil, daß die derart erfaßten Elemente den Gesetzen der relationalen Algebra gehorchen. Sie erlaubt eine Anzahl produktiver Manipulationen auf den Daten. Codds Entwurf hat sich, zusammen mit der darauf abgestimmten Datendefinitions- und manipulationssprache SQL als Standard für Datenbanken auf Großrechnern und mittlerweile auch im Bereich von Workstations und PCs durchgesetzt.

Philosophie arbeitet oft mit Idealisierungen. So funktioniert auch der Terminus ,,relationale Datenbank''. Er suggeriert oft, daß ein bestimmtes Software-Produkt die Vorgaben einer Theorie erfüllt. De facto klafft zwischen der abstrakten Spezifikation und den einzelnen Implementierungen beinahe immer eine Lücke. Das Thema ist in der philosophischen Tradition vielfältig präsent. Es gibt jedoch einen Aspekt dieses Theorie-Praxis-Verhältnisses, für den Philosophierende in keiner Weise vorbereitet sind und der sie entsprechend irritieren kann. Am Markt, auf dem sich die Hersteller von Datenbanken behaupten müssen, hängen Idealisierungen mit Profit zusammen. Das geht über die Diskrepanz von theoretisch makelloser Vorgabe und störungsanfälliger Verwirklichung hinaus. Mit gezielt plazierten Idealisierungen lassen sich Produkte gut verkaufen. Wenn ein Programm auf diese Weise besser abzusetzen ist, wird es als ,,relationale Datenbank'' bezeichnet, egal was über das Thema im Lehrbuch steht. Mit dieser Form des Sinns von Eigennamen haben sich analytische Philosophen bisher kaum befaßt. Sie sind vor Ettikettenschwindel schlecht geschützt.

Ohne die Kenntnis der einschlägigen Theorie unterliegen Benutzerinnen und Benutzer der Gefahr, unversehens die Verrenkungen mitmachen zu müssen, welche die Software-Herstller durchführen, um ihr Produkt am Markt günstig zu plazieren. Zu bestimmten Aufgaben sei eine Datenbank erforderlich - also besorgt man sich so eine Package. Besser sei eine ,,relationale Datenbank'' - also wählt man das neueste einschlägige Angebot. Der Ablauf wird von konkreten Problemen, etwa der Notwendigkeit, Publikationslisten anzulegen und zu verwalten, angestoßen. Er führt dazu, daß die Betroffenen sich ohne nennenswerte Hintergrundinformation verfügbare Lösungen beschaffen, zumeist diejenigen, die sich leicht bedienen lassen und welche man beim Nachbarn schon gesehen hat. Mit etwas Distanz besehen handelt es sich geradezu um ein Paradigma unphilosophischen Vorgehens, nämlich um die ungeprüfte Übernahme eines Bündels von Werkzeugen zur Organisation von Wissen. Daß diese Werkzeuge auch von den meisten anderen Benutzern verwendet werden und viele hilfreiche Funktionen erfüllen, macht die Sache philosophisch auch nicht überzeugender.

Als Beispiel des Kurzschlusses soll ein kurzer Blick auf die Entwicklung von FileMaker dienen. Das Programm war anfangs darauf beschränkt, Informationen in einzelnen, von den Benutzerinnen definierbaren Tabellen zu speichern. Von den, zu diesem Zeitpunkt für Fachleute bereits selbstverständlichen, Anforderungen eines nicht-redundanten, widersprüchliche Einträge verhindernden, Datenbankdesigns war keine Rede. Mit der Bedienung dieser frühen Versionen lernte die Anwenderin einen ziemlich unzweckmäßigen Umgang mit komplexem Informationsmaterial. In einem Formular, das z.B. bibliographische Angaben erfassen sollte, mußte die Autorin für jede ihrer Publikationen einzeln eingegeben werden; die Fehleranfälligkeit dieses Vorgehens liegt auf der Hand. Unter dem Druck der Sache und der Nachfrage wurde FileMaker3 mit sogenannten ,,relational capabilities'' ausgestattet. Eine interessante Marketing-Strategie, deren Begriffsverschiebungen eine philosophische Analyse wert sind.

,,Relational'' heißt umgangssprachlich eher ,,bezogen auf'' als ,,in einer Tabelle organisiert''. Die von Claris Corp. verbreiteten Erklärungen, warum FileMaker jetzt eine relationale Datenbank sei, bedienten sich der ersten Deutung. Es ginge darum, die Inhalte einer Tabelle auf Inhalte in anderen Tabellen zu beziehen. Das ist gerade nicht der technische Sinn des Terminus, nämlich einer Teilmenge des kartesischen Produkts gegebener Domänen. Der Bedeutungsunterschied läßt sich geschickt verwenden. Den Benutzerinnen von FileMaker wird nahegelegt, ihre Aufgabe bestünde in der Erstellung einzelner Tabellen, die sich bei Bedarf mit anderen zusammenhängen lassen. So wird im Formular für einen bibliographischen Eintrag an der Stelle des Verlagsnamens auf eine Tabelle für Verlage verwiesen. Ohne Zweifel eine Erweiterung gegenüber dem singulären Verzeichnis, zugleich aber die absichtsvolle Betonung einer Funktionalität zur Ablenkung vom Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit. Die Pointe des relationalen Ansatzes liegt nicht in der Verknüpfbarkeit vorliegender Tabellen, sondern in der algebraischen Betrachtungsweise aller Daten. Sie erlaubt es, die erfaßte Information mit einfachen Operationen beliebig zu arrangieren und zu manipulieren. Der Schwerpunkt liegt nicht auf Basistabellen, sondern auf dem Umstand, daß die Resultate aller erlaubten Mengenoperationen wiederum Tabellen sind. Nichts dergleichen wurde von FileMaker3 unterstützt.

Das klingt wie ein ziemlich formalistisches Argument. Die derzeit erhältliche Version 5 von FileMaker bietet die Möglichkeit, Datenstrukturen im Stil der gebräuchlichen Datenbanktheorie nachzubilden. Sollte man das nicht als Unterstützung eines schrittweisen Lernprozesses auf Seiten der Benutzerinnen und Benutzer hervorheben? Mir scheint eher das Gegenteil zuzutreffen. Gerade diese graduelle Annäherung enthält eine raffinierte Täuschung. Die Entwicklung von FileMaker zur ,,relationalen Datenbank'' orientiert sich am Fassungsvermögen der Anwender und nähert sich vorsichtig dem geltenden informatischen Problemniveau. Personen, die mit schlichten Tabellen begonnen haben, entdecken die relationale Perspektive und verstehen dadurch mehr von Datenbanken. Doch dieser Wissenszuwachs verstärkt zugleich die Blindheit. Der mittlerweile halbgebildete Laie verfügt nun über ein Vokabular, das sachentsprechend klingt. Der Haken besteht darin, daß unter dieser Oberfläche im konkreten Fall wesentliche Faktoren des Standards fehlen, der das relationale Modell so wirksam gemacht hat.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Das Programm ist für viele Zwecke ausgezeichnet geeignet. Es geht auch nicht um simplen Etikettenschwindel, sondern um einen Vorgang, der Philosophinnen seit jeher fasziniert hat, nämlich um die planmäßige, interessengeleitete Verschiebung von Begriffen. Die Kompetenz im Umgang mit Begriffsinhalten ist, wie gesagt, ein Standbein philosophischer Aktivitäten, nur daß in diesem Fall die Philosophen als Computerbenutzer die Dummen sind. Ihnen entgeht, daß der sogenannten ,,relationalen Datenbank'' FileMaker ein Grunderfordernis zur Interoperabilität im Datenverkehr fehlt, nämlich SQL, die Sprache, mit der die einschlägigen Datenmanipulationen unabhängig vom verwendeten Programm und vom jeweiligen Betriebssystem durchzuführen sind. Relationale Datenbanken implementieren ein theoretisches Konzept, das die Autonomie der Informationsinhalte gegenüber den wechselnden Umständen ihrer Speicherung in unterschiedlichen Maschinen sicherstellen soll. SQL ist ein integraler Teil dieses Standards, dessen Vorzüge u.a. daran ersichtlich sind, daß über das WWW abfragbare Datenbanken in der Regel mit dieser Sprache anzusteuern sind. Auch FileMaker muß Web-Funktionalität anbieten und damit wird der Engpaß offenbar. In Ermangelung von SQL erhält man ein firmeneigenes Software-Paket das, Berichten zufolge, für Kleinbetriebe gut funktioniert. Dafür ist allerdings ein hoher Preis zu zahlen. Unversehens wird aus der allgemeinen theoretischen Perspektive ein ad hoc Angebot. Den Anwendern wird eine hochspezifische Entwicklung offeriert, deren Funktionsweise sie nicht beeinflussen können und deren weiterer Entwicklung sie weitgehend schutzlos ausgesetzt sind.

Das ist vielleicht nicht optimal. Aber, so lautet eine naheliegende Erwiderung, es gilt doch auch für PKWs, Waschmaschinen und digitale Kameras. Wir können nicht Expertinnen für alle hyperkomplexen Geräte werden, die unseren Alltag bestimmen. Bedienungsfreundliche Konstruktion und eine sanft ansteigende Lernkurve sind doch wohl das Beste, was unter diesen Umständen zu erwarten ist. Vielleicht. Philosophisch ist eine wagemutigere These interessant, besonders wenn es um ein Thema geht, das eng mit uralten Anliegen dieser Disziplin zusammenhängt: der Untersuchung von Wissensformen, der Darlegung abstrakter, allgemeinverbindlicher Kommunikationsregeln und der kritischen Betrachtung des Verhältnisses zwischen Sachgehalten und den Medien ihrer Vermittlung. Es fehlt der Platz, das auszuführen, darum muß eine Andeutung genügen. Personen, denen an unrestringiert zugänglichen, kooperativ veränderbaren und ökonomischen Zwängen entzogenen theoretischen Strukturen liegt, werden, was den Computerbereich betrifft, an der ,,Open Source''-Bewegung nicht herumkommen. In philosophische Terminologie übersetzt verkörpert sie ein Ideal der Aufklärung: die tendentiell befreiende Offenlegung jener Gesetzlichkeiten und Abläufe, nach denen Menschen sich und andere dirigieren. Solche Einblicke reichen nicht, um die Verhältnisse zu ändern. Doch ohne Hoffnung, daß Einsicht in operative Prinzipien, im vorliegenden Fall in die Funktionsweise relationaler Datenbanken, Handlungsspielräume eröffnet, ist Philosophie ein trauriges Geschäft.


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h.h.
2000-11-02