Georg Cantor stellt eine kühne These auf:
Die allgemeine Mengenlehre, welche Ihnen sowohl in der Schrift ,Zur Lehre des Transfiniten`, wie auch in dem ersten Artikel der begonnenen Arbeit ,Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre` in ihren Prinzipien entgegentritt, gehört durchaus zur Metaphysik.Das schreibt er nicht nur an einen Dominikanerpater. Auch im mathematischen Fachjournal behauptet er, seine ,,Mächtigkeiten`` seien ,,nichts anderes als die aktual-unendlichen Kardinalzahlen.,, Sich gegen sie zu sperren entspringt - so heißt es an anderer Stelle - einer Kurzsichtigkeit,
welche die Möglichkeit raubt, das A.-U. (i.e. Aktual-Unendliche, H.H.) zu sehen, obwohl es in seinem höchsten, absoluten Träger uns geschaffen hat und erhält und in seinen sekundären, transfiniten Formen uns allüberall umgibt und sogar unserem Geist selbst innewohnt.Die folgende Selbsteinschätzung ist vor diesem Hintergrund nur konsequent: ,,Von mir wird der christlichen Philosophie zum ersten Mal die wahre Lehre vom Unendlichen in ihren Anfängen dargeboten.`` Und Cantor ist sich sicher, daß sie diese Lehre akzeptieren wird.
Das sind starke Worte. Sie machen den Widerstand verständlich, auf den die Rezeption der Cantorschen Konstrukte stieß. Die Allianz, die der Erfinder der Mengenlehre einging, war für Vertreter des Wiener Kreises höchst verdächtig. Ein Bündnis zwischen Gottesglauben und Theoremen über transfinite Zahlen mußte aus ihrer Sicht als eklatanter Verstoß gegen die Regeln der wissenschaftlichen Philosophie erscheinen. Sprachanalyse hat zur Aufgabe, derartige spekulative Auswüchse auf ihren überprüfbaren Gehalt zurückzustutzen.
Verschiedene Reaktionen entwickelten sich. Im Anschluß an Hilbert konnte man, um sich nicht aus dem Paradies vertreiben zu lassen, mathematische Technik vom ideologischen Überbau abkoppeln. Die mathematische Konkurrenz - der Intuitionismus - weigerte sich dagegen, das Instrumentarium wertneutral zu den bekannten Verfahren hinzuzufügen. Philosophen hatten einen nochmals anderen Zugang. Ihnen mußte die Paradiesvorstellung und deren Herkunft bedenklich erscheinen. Es lag nahe, die schwärmerische Tendenz an ihrer mathematischen Wurzel zu packen. Cantor hatte tief in philosophische Vorstellungsbereiche eingegriffen, als Reaktion schien die kritische Überprüfung seiner Mathematik am Platz. Durch Nachdenken können natürlich keine Rechenarten aus der Welt geschafft werden. Die Interessenkollision verläuft subtiler. Ich möchte ihren systematischen Grundzug angeben, bevor das Themenfeld beschrieben wird, auf das sich Felix Kaufmann eingelassen hat.