Beitrag zum Projekt „jung.FERNSPRUNG“ von Michael Kos. Siehe auch den Blogeintrag sprunghaft. Es ist schon gesagt worden, dass die Veranstaltung hier nicht einfach dem Vergnügen dient, sondern auch der ernsthaften gedanklichen Auseinandersetzung. Ich greife auf, was Alfred Komarek gemacht hat. Er hat vieles gemacht, aber unter anderem hat er die Landschaft von unten bis oben, von den Tiefen der Kellergewölbe bis zur Aussicht hier, kurz vor Augen geführt. Und wenn ich darauf philosophisch reagieren soll und möchte, dann muss ich diese Landschaftsbeschreibung ein wenig rübernehmen, integrieren in Gedanken, in Bücher, in Texte, die geschrieben worden sind mit der Hinsicht auf Landschaft. Da gibt es einen ganz festen und im Wortsinn tiefen Anknüpfungspunkt als Erstes. Zu Beginn der abendländischen Philosophie hat Platon das berühmte Höhlengleichnis formuliert. Es enthält die Geschichte, dass Leute in einer Höhle gefesselt sind und nur Schatten an der Wand sehen. An der gegenwärtigen Position und im Anschluss an das, was Herr Komarek gesagt hat, müßte man das ein wenig variieren und müßte ein Kellergleichnis erfinden, das könnte denselben Effekt haben. Man könnte vom Keller hinauf in das Licht gehen. Die platonische Überlegung im Zusammenhang mit dem Höhlengleichnis war folgende: Um zu beschreiben, was Menschen sein können, was Menschen sein sollen, ist das Landschaftsbild des Herausgehens aus der Höhle in das Sonnenlicht, hinauf zu mehr Luft, mehr Licht, mehr Einsicht, echter Beleuchtung, ein schönes Beispiel. Und wenn wir einmal am Tageslicht sind, dann geht die Landschaft natürlich auch oft in die Höhe. Es kommt zu Bergen, man geht auf Berggipfel, und ist auf diesen Gipfeln ganz besonders nahe am Himmel, an den Idealen und an der Freiheit. Diese Von-unten-nach-oben-Bewegung gehört zu unserer Zivilisation dazu, das ist etwas, was wir praktisch den Kindern ab 6 Jahren, ab dem Vorschulalter, immer wieder erzählen. Es geht darum, sich zu befreien, es geht darum, hohe Ziele zu haben, sich weiter zu entwickeln. Das Weiterentwickeln nach dem Muster einer Pflanze, einer aufrechten Lebensweise ist immer mehr oder weniger von unten nach oben gedacht. Soviel, um zu sagen, dass die Landschaft vom Keller, bis zum Buchberg, der da irgendwo zu sehen ist mit der Aussichtswarte, ein schönes Abbild davon ist, was man in der Philosophie auch gerne immer wieder sagt: Menschen entwickeln sich zu einem vollen Leben in aufrechtem Gang von unten nach oben. Nun liegt hier aber ein Problem, und das ist auch schon relativ früh gesehen worden, und das ist das Problem, dass man – wie schön man das auch beschreibt – immer wieder fragen kann: Wazu das Ganze? Wozu tu ich mir das an? Wozu soll ich den Keller verlassen? Es ist doch ganz nett da drinnen, wenn der Weinbauer sich über das Fass beugt. Warum soll ich mir das Ganze überhaupt geben? Wenn Sie ein bißchen mit Philosophie vertraut sind, dann werden Sie erkennen, dass es sich hier um eine – um es einmal sehr unrespektvoll zu sagen – „selling propositions“ der Philosophie handelt. Das Ganze heißt an dieser Stelle: Wieso diese schönen Landschaftsbilder, wieso die Höhlen, wieso die Berge, wieso die Burgen auf den Bergen. Wenn man das nun ernst nimmt, dann kommt man in eine Schwierigkeit mit der gesamten Bildwelt. Wie ich es Ihnen dargestellt habe, enthält diese Bildwelt ja das Dunkle, in das das Licht hineinfällt, einen Bergesgipfel, der eine schöne Aussicht hat. Sie können sich zusätzlich auf dem Bergesgipfel eine Aussichtswarte vorstellen, die noch ein kleines Extraplus dazufügt, in Wirklichkeit aber in derselben Kontinuität steht. Das führt mich zu der Installation, die hier zu sehen ist. Ich möchte Ihnen einen beinhart metaphysischen Text vorlesen, den ich in der Vorbereitung dieser Präsentation entdeckt habe. Ich kannte ihn nicht und bin von ihm begeistert. Er ist von einem griechisch sprechenden Philosophen aus der späten Phase des west-römischen Reiches verfaßt, Plotin heißt der, drittes Jahrhundert nach Christus. Der ganze Text trägt den Titel „Der Abstieg der Seele in die Leibeswelt“ und er beginnt folgendermaßen: „Immer wieder, wenn ich aus dem Leib aufwache, in mich selbst aufwache, lasse das andere hinter mir und trete ein in mein Selbst, sehe ich eine wunderbar gewaltige Schönheit und vertraue in einem solchen Augenblick ganz eigentlich, zum höheren Bereich zu gehören. Verwirkliche höchstes Leben, bin in Eins mit dem Göttlichen, und auf seinem Fundament gegründet. Denn ich bin gelangt zur höchsten Wirksamkeit und habe meinen Stand errichtet hoch über allem, was sonst geistig ist.“ Da haben Sie ein Motiv, das mich elektrisiert hat. Ich wache auf – wohin? Ich wache auf aus meinem Körper, in eine Bewegung zu Gott. Das klingt ziemlich schräg, ist auch schräg, ist jenseits dieser Zivilisationsabfolge der Serpentinen hinauf zu den entsprechenden Spitzen. Ich wache auf in einen Bereich, in dem ich einen festen Stand Gott gegenüber habe. Diese Stand ist das Höchste, was die Menschen erreichen können, und das Bild mit dem Aufwachen aus meinem Körper heraus ist der Versuch eines Philosophen wie Plotin, die Frage zu stellen: Was soll denn das, was mein Körper ist? Was soll denn das vom Keller bis zum Berggipfel? Nun bin ich beim Sprungbrett, beim Trampolin. Denn ein schönes Bild, das in der Philosophie nicht vorkommt, das aber hier geschaffen worden ist, ist, dass ich aufwache und ich stehe auf einem Trampolin in Staatz über den Klippen. Das ist deswegen an dieser Stelle so bemerkenswert, weil es einerseits noch immer eine Position auf der Welt ist, aber es ist leider keine Position mehr, aus der man weitergehen kann. Man kann zurückgehen natürlich, das ist aber ein wenig schäbig. Man kann genau den Aufstieg, das Schöne, die ganze Story der Zivilisation nicht mehr weiter fortsetzen. Man steht dort und der nächste Schritt, den man macht, ist „näher mein Gott zu Dir“. Das ist eine Antwort, die in der Philosophie gegeben werden kann auf die Frage „Wozu das Ganze?“ Weniger religiös und eher existenzialistisch ausgedrückt, ist das in dem Wort „ausgesetzt“. Es fasst in etwa zusammen, worum es da geht. Eine „ausgesetzte Position“, draußen hinausgesetzt und damit auch ausgesetzt im Sinn von unterbrochen, das Leben unterbrochen, wie man sagt „das Herz hat ausgesetzt“. Dass man bis dorthin kommt, ist eine interessante Realisierung von Gedanken aus der Philosophiegeschichte in die Landschaftsarchitektur und Objektkunst, wenn man so sagen will. Ich will nicht ganz so traurig enden und möchte mit einem zusätzlichen Gedanken zum Schluß kommen. Vielleicht kennen einige die Schallplattenaufnahme der „New Orleans Funeral Brass Band“. Eine schwarze Band, die im Begräbnisbetrieb in New Orleans aktiv war. Diese LP, wie ich sie noch kenne, hat zwei Seiten (CDs haben ja keine zwei Seiten). Die erste Seite gibt die herzbewegende Trauermusik wieder, die zweite Seite, wenn man umdreht, enthält, was die Band gespielt hat, wenn sie vom Begräbnis nach Hause gegangen sind. Das war Swing und Walzermusik. Ich sag es Ihnen jetzt zusammengefasst in einem Wort. Wir kennen sehr gewöhnlich und fast bis zur Langeweile die Worte „todernst“, „todtraurig“ und so etwas Ähnliches. Was wir hier, heute, sehen ist todlustig. © Herbert Hrachovec