Der folgende Text wurde für eine Radiosendung zu Olivier Messiaen für den ORF1 geschrieben, allerdings nicht gesendet.

 

Begriffe sind wie Schubladen, das hat man oft gesagt. Genauer wäre: ein Begriff ist wie ein Kasten oder Schreibtisch mit mehreren Fächern, die eine Anzahl verschiedener Möglichkeiten bieten, Dinge abzulegen. Ganz alte Exemplare finden sich anderswo als Neuzugänge. Ich öffne eine der untersten Laden des Begriffs „Schönheit“ und finde die Vorstellung, daß etwas Schönes einfach überzeugt, es ist dem Wirrwarr enthoben, auffällig und für alle Beteiligten angenehm wahrzunehmen. Ein starkes Bedürfnis hat diese Stelle besetzt, nämlich der Wunsch nach Zuständen, über die man sich ohne zu streiten verständigen und freuen kann. Der Wunsch entspringt einer gesellschaftlichen Situation, aber die Menschen beschreiben Dinge, die sie zu seiner Befriedigung brauchen, mit schwärmerischen Worten. Schönheit sei eine Kraft, die uns in ihren Bann schlägt und aus dem Alltagstrott in höhere Gefilde zieht.

Das ist ein ziemlich alter Hut, was soll er unter den Bedingungen unserer liberal-demokratischen Gesellschaftsverfassung? In ihr hat jede und jeder Recht auf den eigenen Geschmack und es steht den Mitgliedern frei, mit anderen über ihre Vorlieben zu diskutieren. Vielleicht einigen sich die Experten dann über gewisse Standards, dem früheren Bedürfnis wird dadurch nicht Genüge getan. Das Reizvolle, das für alle gilt, es braucht bloß aufzutreten, das sich selber den Weg in unser Gemüt ebnet, ist unterwegs steckengeblieben. Der Adel, das Erhabene, das Heilige und wie die Wunderdinge alle heißen, sind nicht dazu gemacht, um im Konzert der Meinungsvielfalt mitzumischen. Sie erhalten die Rechnung dafür präsentiert, daß lange Zeit gesellschaftliche Zwänge durch Religion und Kunst verherrlicht worden sind. Heute beginnt Konsens nicht dabei, daß sich die Pracht eines Herren enthüllt, sondern in einer Gruppe, die sich auf Vorschläge zur Tagesordnung einigt. Das Loblied klingt fast wie der Refrain einer Werbeeinschaltung, „einfach schön“ wird zum abrufbaren Reflex. Eine Ästhetik des Widerstands formiert sich.

Wo finden abstoßende Phänomene wie das Häßliche, das Monströse und die Zerstörung ihren Platz in der Begriffskonstruktion „Schönheit“? Eine beliebte Strategie bestand darin, sie aus dem Bereich der Künste auszuschließen. Es hat auch für die Gegenwart etwas Perverses, sich freiwillig der Durchkreuzung des Harmoniebedürfnisses auszusetzen. Dann bleibt die Kunst in einer heilen Welt und das Abnorme bedroht sie ständig von außen. Wer der Schönheit mißtraut, kann sich dann des Häßlichen als einer Brechstange gegen die Kunst bedienen. Aber der Begriff des Schönen ist nicht so simpel, daß Häßlichkeit einfach nur aus ihm heraus-fällt. In staatlichen Museen hängen sogenannte schöne Bilder von abgetakelten Gestalten und verheerenden Katastrophen. Die schönen Künste hatten immer auch Plätze für Garstiges vorgesehen. So simpel läßt sich also das Erhabene mit Hilfe dessen Dinge im Auge: die Lüge des schönen Scheins, die von den Härten des Lebens und vom demokratischen Prozeß ablenkt, zweitens aber die Chance einer neuen, revolutionierten Kunstform. Häßlichkeit fällt aus dem Bereich des Schönen, oder sie ist dem Schönen eingeschrieben, eventuell sogar sein eigentlicher Kern.

Die Kunst dieses Jahrhunderts hat das Geheimnis ihrer Anziehungskraft mit Hilfe des Abstoßenden zu bereichern gesucht. Nicht mehr der Einklang der Sinne, sondern die Dissonanz wurde zur effektivsten Überzeugungskraft. Maßgeblich kann auch das gemeinsam zugelassene und ausgehaltene Entsetzen sein. Diese Entwicklung ändert die Regeln für ästhetische Produktion und Kunstkritik. Heutzutage – so heißt es – kann man bestimmte Harmonien nicht mehr spielen; nur Volksmusik, Kommerz und Ironie erhalten Ausnahmegenehmigungen. Dieser Standpunkt verlangt, daß ernsthafte Werke im Unschönen verbleiben. Der Genuß heftet sich an die Artistik virtuoser Formbeherrschung vor zahlendem Publikum; inhaltlich handelt es sich um schmerzhafte Demonstrationen der Vergeblichkeit des alten Wunsches. Kunst tendiert zur Perfektion der Sinneslust und andererseits zur permanenten Ruhestörung. Die beiden Richtungen sind kombinierbar. Viele ästhetische Produkte bieten perfekte Irritation. Es ist ziemlich schwer geworden, dagegen an unbefangenes Wohlgefallen zu appellieren.

Zur Illustration der Schwierigkeit kann man sich den Spaß erlauben, das klassische Ideal in die Sprache der gängigen Gebrauchspsychologie zu übersetzen. Schön könnte in dieser Paraphrase etwas heißen, das einen überwältigend positiven Eindruck erzeugt. In dieser Formulierung ist ein Stück der alten Wunschvorstellung aufbewahrt, zugleich klaffen die Welten trotz des vertrauten Tonfalls auseinander. „Ein positiver Eindruck“ ist unverbindlich und kann auch nach wiederholter Steigerung nicht überwältigen. Personen, die Eindrücke sammeln, werden von ihnen nicht aus der Fassung gebracht, selbst wenn sie es sich wünschen sollten. Etwas ganz Großes, das unsere Leben überstrahlt, würde auch die peniblen Rechenkunststücke auslöschen, an denen wir in der Zwischenzeit Gefallen finden. Offenbar gerät diese Überlegung leicht ins reaktionäre Fahrwasser. Ist eine Gattung wie der Lobgesang davor zu retten?

Er handelt ohne viel Umstände vom Heilbringenden und zwar unter Bedingungen, die alles andere als heilsam sind. Manchmal beschwört er vergangene Glorie herauf, dann wieder tut er so, als ob er sich direkt an gegenwärtigen Verhältnissen entzünden könnte. Dabei haben weite Kreise die Geduld mit der Schönrednerei verloren. Lobgesang ist ein Minderheitenprogramm, das zu allem Überfluß auch das Signum ehemaliger Korruption trägt. Dennoch verdient es Aufmerksamkeit. In ihm hat sich ein Motiv erhalten, das mit Ästhetik mehr zu tun hat, als der gesellschaftskritischen Orthodoxie der Intellektuellen geheuer ist.

 

Seine Botschaft lautet: Ja-Sagen ist zugleich einfacher und schwieriger als Nein-Sagen. Positives Denken ist nicht durch Stirnrunzeln ersetzbar; Inspiration bleibt Mangelware, niedermachen können wir uns selber. Ich will keinen Lobgesang des Lobgesanges anstimmen, bloß Ordnung in ein paar Schubladen bringen. Dabei finde ich, daß viele vorbildliche Häßlichkeiten kein anderes Ziel verfolgen, als die anerkannten sinnlichen Annehmlichkeiten, gegen die sie ins Feld ziehen. Sie wollen auftreten, wahrgenommen werden und siegen. Auch Schockwerte nehmen diese ästhetische Grunderfahrung in Anspruch. Dann wird wohl auch in manchen Fällen altmodische Schönheit passen. Oder noch besser: Jubelklänge und Mißtöne sollen die Sache untereinander regeln.

 

© Herbert Hrachovec

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