So habe denn was trotzend du gewollt:
Den Tod. Ich aber scheide jetzt von dir;
Auf immerdar. Es ist das letztemal
In alle Ewigkeit das letztemal
Daß ich zu dir nun rede mein Gemahl.

(Medea, v. 2333-2337) 

 

Grillparzer schmerzt; zeitlebens hat er sich unter Strapazen arrangiert, nur seine männliche Egozentrik ist ungebrochen geblieben. Frauen gegenüber ist der gesamte verkorkste Triebhaushalt des hyper-sensiblen Biedermaier-Beamten manifest. Seine Geliebten sind die überstandenen Revolutionen und die schönen Wilden. Ungeniert mutet er ihnen seine Eigenheiten zu. Das setzt sich in Szenen um, die gestern erdacht sein könnten.

Etwa die folgende Beziehungskiste. Ottokar hat seine Alte fortgeschickt und sich an ihrer Stelle eine rassige Ungarin geholt. Nur leider ist er ihr zu fad und fahrig, sie läßt sich mit dem Nihilisten aus der Nachbarschaft auf ein Verhältnis ein. Zu allem Überdruß geht in der Firma alles schief. Ottokar wankt tröstungsbedürftig nach Hause. Kunigunde reagiert eiskalt: Schleich dich, ich brauche keinen Waschlappen als Mann; und fort ist sie. Was bleibt ihm über, als mit einer Verzweiflungstat ihre Achtung zurückzugewinnen?

Er läßt sie rufen und fragt lauernd, ob sie ihm zutraut, das Kompromißangebot seines Chefs auszuschlagen. – Das traust du dich nie! „So lang Ihr Euch nicht von der Schmach gereinigt, | Betretet nicht als Gatte mein Gemach.“ Also reißt Ottokar das Dokument entzwei. „Nun erst willkomm ich Euch!“ sagt Kunigunde. Aber der Psychoterror ist damit nicht zu Ende. Jetzt hat der Mann, der sich soeben das eigene Grab geschaufelt hat, wieder Oberwasser. „Ich sehe Blut an deinen weißen Fingern, | Zukünftiges Blut! Ich sag: berühr mich nicht.“ Die beiden lassen einander nichts nach. Ottokar übernachtet auf der Couch eines alten Geschäftsfreundes.

Patriarchalische Verhältnisse bedeuten nicht unbedingt, daß Männer kommandieren. Sie bestimmen einen Rahmen, in dem die Schwächen beider Geschlechter zum gesellschaftlichen Vorteil des einen wirken. Die Frauen als Katalysatoren der ernüchternden Selbsterkenntnis ihres Geliebten, so zeigen es Grillparzers knieweiche und bockige Helden. Jason ist nicht Manns genug, zu seiner Frau zu stehen; Bancbanus opfert seine einem Lüstling; Alfons der Gute kann Rahel nicht vor den Würdenträgern seines Reiches schützen. Der traurige Überrest Mann ist dennoch besser dran.

„Sind es aber gute, wohlwollende, etwa gar Personen, denen ich zu Dank verpflichtet bin, so gerate ich in einen Zustand der Abspannung, der sich nur durch die Willkürlichkeit der Bewegung vom Schlafe unterscheidet.“ Das sagt Grillparzer in der „Selbstbiographie“ vom Verhältnis zu adeligen Gönnern, aber es gilt ebenso für Frauen. Und während er den Grafen gegenüber immer irgendwie gezwungen ist, den Umstand zu vertuschen, hat er ihn den Geliebten gegenüber ausgespielt. Entweder kaum erreichbar und Stimulus für die Phantasie, oder Hausfrau und damit sexuell außer obligo. Aus dieser Klemme hilft keine Haupt- und Staatsaktion.

„Wir glühten, aber ach, wir schmolzen nicht.“ Die Liebe ist ein temperiertes Feuer. Der Wahnsinn liegt nicht in der Selbstpreisgabe, sondern im Versuch, sich mit der Störung lebendig zu erhalten. Einmal hat Grillparzer die Zusammenhänge in ihrer ganzen Breite auseinandergelegt. Es ist neben Kleists „Käthchen von Heilbronn“ und „Penthesileia“ das großartigste deutschsprachige Geschlechter-Drama des 19. Jahrhunderts geworden, „Libussa“, die Geschichte der Ehe mit einer idealisierten Frau.

Sie ist Königstochter, der Mann ein Bauer. Nur in Verletzung der Grenze zwischen Mythologie und Alltagsbedürfnis treffen Libussa und Primislaus überhaupt aufeinander. Die Begegnung mit dem anderen Geschlecht bringt der Frau die Herrschaft über das Reich, dem Mann ungestillte Sehnsucht. Was solche Episoden normalerweise bewirken, wird genau auf den Kopf gestellt. Aber wir sind erst im 2. Akt. Das Matriarchat der wohlmeinenden Fürstin ist nur eine Zwischenstation im Geschichtsverlauf, den letztlich doch die freigesetzte maskuline Energie bestimmt.
Primislaus kommt aufgeputzt wie ein junges Mädchen zu seiner Herrin, deren Gemahl er werden soll. Sie spricht in Rätseln, er spricht in Rätseln, beide können von ihrem Stolz nicht lassen. Die Machtübergabe, die Grillparzer nach der Logik des Dramas bewerkstelligen muß, ist ihm psychologisch unzugänglich; es gibt keinen guten Grund zur Unterwerfung der Frau durch den Mann. Aber so ist es nun einmal: „Indem sie Primislaus Hand ergreift und halb das Knie beugt, das Volk aber kniet, fällt der Vorhang“ des 4.Akts.

 

Damit sind alle Requisiten beisammen, die Grillparzer benötigt, um Visionen zu produzieren. Ein Fürst, den die göttliche Ordnung überfordert; ein Mann, der kurzsichtig dem Fortschritt nachjagt; die Frau als Opfer, die dem Wohlergehen der Bürger die Weihe tiefer Einblicke in das Verlorene gewährt. Libussa spricht sterbend Grillparzers Vermächtnis. Es spitzt sich auf einen zum Weinen lächerlichen Satz zu. „Der Mensch ist gut, er hat nur viel zu schaffen.“ Die Triebfeder eines Lebens zeigt sich schlagartig unverhüllt. Dann ist gleich wieder von Demut als oberster Gottheit die Rede; Grillparzer scherzt.

 

© Herbert Hrachovec

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