Siehst du, sie sind schon heiter und vergnügt
Und stiften Ehen für die Zukunft schon.
Sie sind die Großen, haben zum Versöhnungsfest
Ein Opfer sich geschlachtet aus den Kleinen
Und reichen sich die annoch blut’ge Hand.

 

 

(Die Jüdin von Toledo, v. 1921-1925)

 

Grillparzer kippt; es ist ihm nicht gelungen, das Kaiserhaus zu feiern, ohne es dabei gleichzeitig zu kompromittieren. Nach einer läppischen Gewohnheit verleihen wir für regimekritische Bemerkungen Gutpunkte. Dabei wird übersehen, daß die wahrheitsgetreue Nachbildung der Untertanen schon alle Materialien enthält, auf die ein Aufstand zurückgreifen kann. Der Zusammenhang zwischen Grillparzers Lobpreis der Monarchie und der feinen Nase, mit der sie diesen Braten roch, wäre Stoff für eine Komödie.

Rudolf von Habsburg in „König Ottokars Glück und Ende“ ist wirklich eine Seele von einem Mann – aber das Stück handelt vom Leben Ottokars und provoziert auch noch den lauten Unmut der böhmischen Kronländer. Bancbanus in „Ein treuer Diener seines Herrn“ ist ein Muster an Pflichterfüllung – praktisch ein Muster ohne Wert. Die Interpreten haben sich abgemüht, am alten Mann, der seine Tochter-Gattin der Rettung von Gesetz und Ordnung opfert, sympathische Züge zu entdecken. Ein pikiertes Befremden ist nicht zu übersehen. Soviel Unterwerfung tut den Herrschenden nicht gut.

Die Strategie Kleists zur verzweifelten Verherrlichung der Weltordnung besteht darin, daß nach dem Gemetzel ein zauberhafter Kurfürst, Kaiser oder Gott den Knoten löst. Er ist durch nichts in den vorangegangenen Ereignissen verankert. Grillparzer ist einen bitteren Schritt näher an den Tatsachen, seine Kaiser sind Doppelwesen, Mensch und Gott, miserabel und umkleidet mit der unermeßlichen Würde ihres Amtes.

Darum kann noch so viel gepriesen werden, das beleuchtet immer zugleich die Unzulänglichkeit. König Andreas hat Bancbanus für die Zeit seiner Abwesenheit die Herrschaftsgewalt übertragen. Kaum ist er fort, geht alles drunter und drüber. Mit knapper Not verhindert Bancbanus den unwiderruflichen Bürgerkrieg. Eine Prozession von Missetätern, die er anführt, zieht dem König entgegen, als er rächend zurückkehrt. Sie unterwerfen sich dem königlichen Willen. Wer ist an dem Schlamassel schuld? Die Gattin und der Schwager des Herrschers; das hätte er doch wohl voraussehen können.

Schärfer wird das Motiv in der „Jüdin von Toledo“ durchgespielt. Dort ist König „Alfons der Gute“ der ärgste Sünder. Sein Liebesabenteuer mit Rahel ist eine pflichtvergessene Affäre, erst als seine Räte die Jüdin umbringen lassen, kommt er zur Vernunft. Die Schuldzuschreibungen und Selbstbeschuldigungen schlagen Purzelbäume. Erst nimmt die Königin und der Rat Aufstellung, um ihre Strafe zu empfangen. Der König befindet: „Kein Unterschied, denn Alle seid ihr schuldig.“ Darauf der Sprecher der Granden mit starker Stimme: „Und ihr nicht auch?“. Ja freilich, beim König liegt der Ursprung des Rechts und auch der Übertretung.

Man kann Grillparzer also mildernde Umstände zugestehen, dennoch sind seine mahnenden Fürstenspiegel tief veraltet. Er bastelt an der Frage, wie die ehedem vertraute Ordnung von Natur und Staatswesen am Besten gegen die Zerrissenheit der neuen Zeit zu bewahren sei. In diesem Jahrhundert war die österreichische Antwort der Ständestaat. Ein solcher Konservativismus tut weh. Solidarität verbietet die Rechthaberei des Klassenkampfes, denn wir haben alle Dreck am Stecken.

Das klingt nicht sehr erhebend! – Eben. Grillparzer hat zwei Varianten des Sich-Beklagens zusammengezogen, das Raunzen und die Selbstbezichtigung. In seinem System dient das der Bekräftigung einer Gerechtigkeit, hinter deren Anspruch alle Menschen zurückbleiben. „Vor dem Gesetz“ wird Kafka sagen und dazu dieselbe Demütigung eingesessener Amtsträger inszenieren. Es herrscht schon soviel Gleichheit, daß alle die Auswirkungen derselben Misere verspüren, doch auch noch soviel Unterschied, daß es sie auf wohlverteilten Plätzen der gesellschaftlichen Rangleiter trifft.

Der Ständestaat gehört mittlerweile der Vergangenheit an; aber nicht wirklich. Weiß Gott, von woher die Ungerechtigkeit in die Welt kommt, vom Klima, vom Kapital, vom Krieg. Dazwischen verhauen wir nach wie vor die wichtigsten Dinge und hören Wojtech Jaruzelski sagen „Das Wort ‚Verzeihung‘ kann nichtssagend wirken. Ich finde jedoch kein anderes.“ Beamtenethos, das unbestechlich die Akten sichtet und korrekt bleibt, auch wenn kein Herrscher es befiehlt, ist ein faires Angebot. Die interimistische Verwaltung am Rande der Verzweiflung. Kaiser Rudolf II. ist ein solcher Funktionär: „Doch ward mir Fleiß und noch ein andres: Ehrfurcht.“

 

Roland Barthes hat die Geste hervorgehoben, mit der Franz Schubert sich dem Wahnsinn verweigert und der Trauer zukehrt, die in allen steckt. Grillparzers Helden sind Sachwalter des Katzenjammers. Ein Leben in Schande ist ihnen nicht unmöglich. Besser, an der Seele Schaden zu nehmen, als die Mitwelt oder sich selbst über die Klinge springen zu lassen. Recht birgt den Keim zur Korruption, Gnade liefert uns der göttlichen Barmherzigkeit aus; eine schöne Bescherung.

 

© Herbert Hrachovec

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