Zudem gibts Lagen wo ein Schritt voraus 
Und einer rückwärts gleicherweis verderblich. 
Da hält man sich denn ruhig und erwartet 
Bis frei der Weg, den Gott dem Rechten ebnet. 

(Ein Bruderzwist in Habsburg, v. 1175-1178)

 

Grillparzer brodelt; ein alter Grantscherben, der nicht weiß, was er eigentlich will. „Nachdem man sterben sich gesehen | Mit seiner eignen Leiche gehen.“ Er ist kurz über 40 und betrachtet sich als Greis, 1838 zieht er sich, 34 Jahre vor seinem Tod, nach dem Premierendebakel von „Weh dem, der lügt!“ aus der Theaterwelt zurück. Dichter sollen an Schwindsucht sterben, zu hohen Ehren aufsteigen oder in der Wüste verschwinden, aber bitte nicht ständig lamentieren.

Zeit seines Lebens hat Grillparzer mit dem Problem gekämpft, daß er in seine Zeit nicht paßt. Dem aufgeklärten Regime Josef II. hängt er nach, gegen die Repression Metternichs. Er protestiert angesichts der Zensur, aber das ist eine matte Sache, denn erstens ist er sowieso zu vorsichtig und zweitens hat er Angst, daß in der neuen Zeit der Pöbel die Oberhand gewinnt. Also singt er doch ein Ruhmlied auf die Habsburger, allerdings bleibt es in der Schreibtischlade, versalzen mit mißmutigem Spott. Über seine Untergebenen schreibt er ins Tagebuch: „Ich habe sie mir feindseliger, ich habe sie mir unwissender, unbrauchbarer gedacht. Aber es ginge besser, wenn sie schlimmer wären.“ Alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse.

Wir sind auf Siegertypen eingestellt, selbst die Lieblingsverlierer, Woody Allen oder Samuel Beckett, müssen Erfolg nachweisen. Dazu gehört, die rechte Frau am rechten Ort zu sein, die Gunst der Stunde zu erkennen. Nichts ist so schön, als wenn der Weltgeist auf seiner Höhenfahrt einmal bei uns zu Hause einkehrt. Die krankhafte Begeisterung, wenn Österreichs Skiläuferinnen im Weltcup führen, dokumentiert, wie schlimm das elementare Bedürfnis nach einem Platz an der Sonne der Geschichte in diesem Land frustriert wurde. Die Erklärung für den Stolz auf die „Heimat großer Söhne“ liegt in der sozio-politischen Konfiguration mehrerer vergangener Jahrhunderte.

1670 erscheint in Amsterdam Spinozas „Theologisch-politischer Traktat“, der schon im Vorwort proklamiert, der rechte Staat sei jener, der jedem erlaubt, zu denken, was er will und zu sagen, was er denkt. 150 Jahre später ist davon in der Habsburgermonarchie, nach kurzem josefinischem Zwischenspiel, noch immer nichts zu merken. Ein Trauma für politisch empfindliche Untertanen. Die Franzosen haben ihre Revolution, die deutschen Romantiker stellen ihr reklamebewußt Fichte und Goethe als ebenbürtige Leistungen an die Seite – und was haben wir? Monarchische Rindviecher. „Und ruhig, auf Trottel den Ersten | Wie Butter, folgt Trottel der Zweite.“

Dieser Rückstand ist Grillparzers Position. Die Entwicklung der Neuzeit hat Europa in ein englisch-französisches Zentrum und Peripherien zerteilt. Die dort Zurückgebliebenen kämpfen mit der Paradoxie, ihre moderne Identität nur über externe Mächte zugesprochen zu erhalten und sie darum per definitionem zu verfehlen. Politische Befreiung und literarische Größe sind Grillparzer vor Augen geschwebt, ohne daß er in der Lage gewesen wäre, die Wunschbilder umzusetzen, bei uns in Bagdad. Mittlerweile hat sich allerdings herumgesprochen, daß die Erfolgsgeschichten der Zentralmächte nicht ohne schwerwiegende Defizite auskommen. Die Defensive, in welche sie die Randgebiete drängen, besitzt eine eigene Berechtigung.

Zum Beispiel muß Mißtrauen gegen revolutionäre Umstürze nicht gleichbedeutend mit reaktionärer Unfähigkeit sein. Unter Umständen bewahrt es eine langsamere Entwicklung und deutet auch noch darauf hin, daß die Erfolgsgeneration vorwiegend aus Ausbeutern besteht. Schön anzusehen ist das Nachhängen freilich nicht. Raunzen ist eine Entsorgung von Idealismus. „Denn in Deutschland weht derSturm | – Sturm, man weiß, ist Wind.“ In einer Hinsicht ist diese Abschätzung einfach Angst vor Veränderung. Aber was bleibt jemandem, der in eine historische Flaute geboren wird, schon über? Es steht uns schlecht an, in beflissenem Nachziehverfahren die Ideale des Fortschritts zu übernehmen und nach dieser Aktualisierung die Nase über Grillparzer zu rümpfen, der sich nicht besser zu helfen wußte, als mit dem Rückzugsgefecht des enttäuschten Archivdirektors.

Nicht bloß, daß er damit den status quo unangetastet läßt, er hat ihn in Ermangelung besserer Lösungen bekräftigt. Aus dem Triumph der Umstände über den Dichter gewinnt der Dichter seinen Ruhm. „Triumph des status quo“ aber ist ein Widerspruch und eine Wahrheit, an die die Durchschlagskraft der Sieger nicht heranreicht. Sie meinen, wie die Dinge stehen sei kein Grund zur Freude, Jubel dagegen sei nur dort berechtigt, wo ein lange unterdrücktes Prinzip zum Durchbruch kommt. – Vorsicht, hier spricht die Gegenpartei. Brodeln heißt, etwas verzögern oder untergründig kochen.

 

Grillparzers geduckte Kunst widerspricht dem Hölderlin – Kleist – Artaud – Paradigma in den meisten Punkten. Nicht darin, daß es um Befreiung geht; nur ist sie nicht kontextfrei aus vorbildlichen Entwicklungen zu übernehmen. Der Mut, den eigenen Bedingungen zu folgen, erzeugt Schrullen. Aber nicht selten haben Personen die Partie aufgehalten und sie damit weitergebracht.

 

© Herbert Hrachovec

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