Wohlan ihr Herrn
Nehmt das Panier und tragt es allen vor;
Den edlen weißen Strich von Österreich;
Und wie er glänzend geht durchs rote Feld,
So will ich sehen Östreichs weiße Zeichen
Die Gasse ziehn durch blutgefärbte Leichen.

 

(König Ottokars Glück und Ende, v. 2743-2748)

 

Grillparzer staubt; nichts wird bewältigt, alles kostümiert. Man konnte schon zu seiner Zeit viel überzeugender und flotter schreiben. Strömungen, wie sie sich in der Literaturgeschichte durchsetzen, sind mitreißend. Grillparzers Dramen (die “Ahnfrau“ ausgenommen) sind weder gehetzt, noch gesetzt. Sie klingen, wie wenn der Vater vom letzten Krieg erzählt, zu feierlich und zu banal. Den Zeichen folgen auf dem Fuß die Leichen. Er staubt nicht nur, er staubt auch ab.

Der Patriot, der das Kaiserhaus verherrlicht und ein unerträgliches Gedicht auf die dreitägigen Wehen der Mutter Franz Josephs verfaßt, ist einem dringenden Bedürfnis gerade recht gekommen. Österreich, das den Kampf um die Hegemonie in Deutschland verloren hatte, brauchte einen hauseigenen Klassiker. In diese Rolle wurde Grillparzer gesteckt. Durch eine eklatante Fehleinschätzung seiner Qualitäten wurde der Nachtfalter zum Wappentier gemacht. Das Gravitätische seiner Deklamationen sollte den österreichischen Charakter mit Beständigkeit und Würde auszeichnen.

Natürlich kam dabei das Gegenteil heraus. Die Lächerlichkeit des Nationalstolzes hat sich auf die Reputation des Nationaldichters geschlagen; sein Werk wurde zur Pflichtübung. Es liegt in einem sonderbaren Niemandslandsland: unmodern, aber nicht nostalgisch; von Zweifeln angekränkelt, aber hausbacken; ein Konglomerat aus Redefluß und Verdrießlichkeit. Ironiker bemerken, daß diese Charakteristika Grillparzer am Ende doch zum typischen Österreicher machen. Lähmende Feierlichkeit und bissige Zwischenbemerkungen. Das mag schon stimmen, reizvoller ist eine andere Betrachtungsweise.

Ich möchte in vier Folgen stichprobenartig dem Zauber seiner Montur begegnen – ihn anerkennen, ihm entgegenreden. Die jüngere Literaturkritik hat nachgewiesen, daß Grillparzer mindestens soviel mit Strindberg und Kafka, wie mit der Weimarer Klassik zu schaffen hat. Mir dagegen geht es weniger darum, in ihm das aufzufinden, was uns vertraut ist, sondern im Gegenteil zu fragen, was seine Staubschicht deckt.

Er war ein Dichter und Beamter, ein Hofrat, der in jungen Jahren am Theater reüssierte. In bitteren Sentenzen hat er selber den Verlust der Inspiration zwischen den Aktenbergen beklagt. Ein gutes Beispiel dafür, daß Kunst und Sicherheitsbedürfnis sich eben nicht vertragen. Ist das so sicher? Eine Perspektive auf Grillparzer eröffnet sich durch die Beobachtung, daß wir mit unseren Vorstellungen vom reinen, atemlos-aufgestachelten Künstler tief im romantischen Vorstellungskreis stecken. Für gewöhnlich dient die Sprache nicht der Anfeuerung, sondern als Kleister für die unterschiedlichsten Bedürfnisse.

Sprechen hat in den meisten Fällen bürokratische Funktion. Wie und wann etwas gesagt wird, bestimmt, wie die verschiedensten Materien sachgerecht zu behandeln sind. Die Meldung einer Presseagentur verlangt andere Reaktionen, als ein Wutanfall. Irrtum! werfen die Literaten seit Karl Kraus ein, die Aufgabe der Kunst besteht gerade darin, die Ungeheuerlichkeit der Welt ins aufgebrachte Wort zu bringen. Das ist des Hofdichters Sache nicht. Die erste Bürgerpflicht seiner Sprache ist Abwiegelung. Daher kommt das Gefühl, daß Grillparzer, bevor er loslegt, erst einmal seine Wertsachen versteckt.

 

Die Abneigung gegen eine solche Zurückhaltung ist revisionsbedürftig. Amtsdeutsch ist wegen seiner Indirektheit verschrien; es erzeugt eine Zwischenwelt, durch die die Wirklichkeit abgepuffert wird. Gott sei Dank, muß man auch sagen, ein Refugium für alle, die der Explosivkraft der Worte mißtrauen. Das sind nicht nur die Zensurbehörden, sondern auch die weniger Wortgewaltigen und die Wissenschaftlerinnen. Grillparzers Staats-Schauspiele trägt ein so verstandenes Amtsdeutsch. Er sucht in seinen Windungen nicht Unterschlupf, sondern Abkühlung.

 

© Herbert Hrachovec

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